Die Bewerbung der Thüringer Residenzen für das Weltkulturerbe soll bis 2027 überarbeitet werden. Der Antrag müsse plausibler werden, sagte die Direktorin der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, Doris Fischer, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Darüber hinaus seien weitere Forschungen zu einigen Aspekten des Antrags erforderlich. Das Potenzial zur Aufnahme in die Welterbeliste sei gegeben.
epd: Die Nutzungsgeschichte war das Thema beim gescheiterten Versuch, mit neun Thüringer Residenzschlössern auf die deutsche Vorschlagsliste für das Unesco-Welterbe zu kommen. Die Kulturministerkonferenz folgte mit ihrer Ablehnung einem Gutachten, dem zufolge die große Dichte von Residenzen in Thüringen keinen außergewöhnlichen universellen Wert darstellt. Warum will sich Thüringen erneut bewerben?
Doris Fischer: Wir wussten schon beim ersten Anlauf, wir haben schwierige Ausgangsvoraussetzungen. Europa und insbesondere europäische Schlösser sind auf der Welterbeliste bereits überproportional vertreten.
epd: Zudem bescheinigten die Gutachter den Thüringer Residenzen, sie seien auch baulich nicht außergewöhnlich genug.
Fischer: Das ist richtig. Aber unser Thüringer Antrag zielt nicht auf die Einmaligkeit der Bauwerke ab, sondern auf die Ablesbarkeit von Funktion und Nutzungsgeschichte. Thüringen hat über Jahrhunderte und noch bis 1918 als eine polyzentrale Herrschaftslandschaft funktioniert. Und das ist in dieser Form weltweit einzigartig.
epd: Aber ein Dutzend in Nachbarschaft zueinander gelegene Residenzen gibt es auch anderswo.
Fischer: Nicht, wenn Sie nach so eng benachbarten Regierungssitzen suchen, die kontinuierlich bis 1918 in Funktion waren. Hinzu kommt: Wir müssen den absoluten Alleinstellungswert herausstellen und das an den Bauten festmachen. Der geht weit über das Bauliche hinaus. Das Einzigartige ist, dass nur hier in Thüringen das quasi föderale Herrschaftssystem des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation bis 1918 erhalten geblieben ist. Das manifestiert sich in den für den Unesco-Antrag ausgewählten Residenzschlössern, die während des gesamten Zeitraums immer als Herrschaftszentren in Funktion waren. Die Problematik war, dass die Welterbeliste letztlich eine Liste des baulichen Erbes ist, die Thüringer Besonderheit jedoch weit darüber hinausgeht.
epd: Wurde das nicht verstanden?
Fischer: Vielleicht ist die Zeit einfach noch nicht reif dafür. Es handelt sich um Universen, zu denen auch das immaterielle Kulturerbe gehört. Es sind eben nicht nur die Schlösser an sich, sondern auch die Sammlungen der Regenten, die Archive der thüringischen Staaten und ebenso die Leistungen dieses Landes bei der Musik- und Theaterkultur.
epd: Wie geht es weiter?
Fischer: Wir werden uns die Ablehnungsgründe genau anschauen und schärfen den Antrag bis 2027 nach. Wir werden dabei auch verschiedene Aspekte stärker erforschen und nach vorn rücken. Er muss plausibler werden. Ich bin überzeugt, wer sich darauf einlässt, erkennt das große Potenzial des Thüringer Antrags. Eine Aufnahme in das Weltkulturerbe wird, wenn das jemals kommt, noch etwas dauern. Aber so ein Welterbe-Antrag ist nie ein Sprint, sondern immer ein mühsamer Langstreckenlauf. Und was die gesellschaftlichen Effekte eines solchen Prozesses angeht, die ich für ganz entscheidend für Thüringen halte, ist ohnehin der Weg das Ziel.
epd: Im Rahmen eines Sonderinvestitionsprogramms stehen 200 Millionen Euro zur Verfügung, um Schäden an den Schlössern und Immobilien der Stiftung zu beheben. Mittlerweile sind Projekte auf den Weg gebracht, Mauern geöffnet, Fundamente untersucht worden. Wie war der erste Eindruck?
Fischer: Einerseits packt einen das blanke Entsetzen, wenn man die Schäden an den Bauwerken sieht. Andererseits gewinnen wir Erkenntnisse zur Bau- und Nutzungsgeschichte, das geht weit über eine Sanierung hinaus. Das Sonderinvestitionsprogramm ist deshalb auch ein riesiges Forschungsvorhaben. Das ist absolut faszinierend.
epd: Welche neuen Erkenntnisse gibt es? Die Schlösser waren bereits in der Vergangenheit Gegenstand intensiver Forschung.
Fischer: Nehmen wir hier in Rudolstadt – am Sitz unserer Stiftung auf der Heidecksburg – den Marstall. Was wir vorher kannten, war die Dimension der Schäden. Das Dach ist komplett marode. Wir haben in einem ersten Schritt alles beräumt. Das Objekt war ja sehr stark genutzt. Der Marstall war vor dem Sanierungsbeginn gleichzeitig Museumsdepot und Archiv. Sogar eine Wohnung gab es. Die Baukonstruktion war also in den allerwenigsten Bereichen frei zugänglich. Im Vorfeld der Bauvoruntersuchung haben wir gleich mehrere interessante Entdeckungen gemacht.
epd: Welche?
Fischer: Das Dach, das 1735 nach dem großen Schlossbrand auf den Marstall gesetzt wurde, ist ein Notdach. Es sollte die rasche Nutzung als Pferdestall wieder ermöglichen. Und der ursprüngliche Plan war wohl, dieses Dach, das konstruktiv überhaupt nicht funktioniert, irgendwann danach zu erneuern. Das ist aber nie geschehen. Das Dach hat also als Provisorium fast 300 Jahre überdauert. Und diese Erkenntnis haben wir erst jetzt gewonnen. Ebenso wenig wussten wir, dass ein Teil des Marstalls mit seinen Kellern die Mauern der mittelalterlichen Burg auf Schloss Heidecksburg einbezog. Jetzt, wo wir das gesamte Gebäude untersuchen können, erfahren wir unglaublich viel über die Veränderung der Dimensionen des Bauwerks durch die Jahrhunderte. Bislang konnten wir hier nur auf die Angaben aus den Archiven zurückgreifen.
epd: Was ist das Sanierungsziel? Alles bewahren und dies unter Umständen unter Einbeziehung von baulich bereits damals nicht überzeugenden Lösungen? Oder steht das spätere Nutzungskonzept im Vordergrund?
Fischer: Wir treten ja immer mit der Zielrichtung des Substanzerhalts an. Die Schäden sind zum Teil so massiv, dass wir vermutlich nicht jedes Stück Holz für die Nachwelt bewahren können. Eine Frage wird sein, wie geht man mit den baulichen Spuren um? So gibt es noch bauliche Hinweise etwa auf die Stuben der Pferdeknechte und die dort befindlichen Aborte. Und natürlich müssen wir dabei immer auch die Nutzungsideen berücksichtigen, die wir im Vorfeld auf Grundlage der Grundrisse entwickelt haben. Aber nun, da wir die Schäden kennen und um die bislang unbekannten Besonderheiten des Baus wissen, passen wir unsere Nutzungsideen daran an.
epd: Welche Rolle spielen die zur Verfügung stehenden Mittel dabei?
Fischer: Natürlich haben größere Schäden immer auch ein größeres Kostenvolumen zur Folge. Aber das ist unser tägliches Geschäft. Es ist unsere Aufgabe, die Projekte so zu steuern, dass sie zum Abschluss kommen. Wir können die Dächer nicht ungedeckt lassen. Und weil unser Finanzvolumen für die 23 verschiedenen Projekte auf 200 Millionen Euro gedeckelt ist, muss sich der Sanierungsumfang am Ende auch daran orientieren.
epd: Wurden alle für die Arbeiten nötigen Baufirmen gefunden?
Fischer: Das war kein Problem. Der Einstieg in die Projekte geht ja schrittweise vonstatten, gebaut wird gerade in den ersten drei von 23. Hier haben wir genug Angebote zu guten Konditionen auf unsere Ausschreibungen hin bekommen. Dasselbe gilt und galt für die beauftragten Planer-Teams.
epd: Spüren Sie die Folgen einer Abkühlung der Baukonjunktur?
Fischer: Ja. Der private Bausektor ist eingebrochen. Das ist für die Baufirmen bedauerlich. Für uns bedeutet das ausreichend Angebote, die finanziell im Bereich unserer Kostenschätzungen liegen.