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Theologin Rahner über Franziskus: Kirche dauerhaft verändert

Papst Franziskus habe die katholische Kirche unwiderruflich verändert, sagt die Tübinger Theologin Rahner. “Man kann jetzt wieder offen diskutieren.” Allerdings: Bei innerkirchlichen Reformen sei weiterhin vieles “in der Schwebe”.

Papst Franziskus ist am Morgen des Ostermontags im Alter von 88 Jahren an den Folgen einer schweren Lungenentzündung gestorben. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte die katholische Theologin Johanna Rahner (63), sie sehe Franziskus kirchenhistorisch in einer bedeutenden Rolle. Er habe in der Institution Kirche gerade “hinter den Kulissen sehr viele Strukturen verändert”. Franziskus sei zudem als Papst vor allem Seelsorger gewesen – nach dem Theologen-Papst Benedikt XVI. und dem Weltpolitiker Johannes Paul II., urteilte die Dogmatik-Professorin an der Universität Tübingen.

Frage: Frau Professorin Rahner, welche Rolle kommt Franziskus kirchenhistorisch zu? Wird er als großer Papst in die Geschichte eingehen?

Antwort: Mit diesem Etikett wäre ich vorsichtig. Aber Franziskus ist mit Sicherheit ein Papst gewesen, von dem man sagen kann: Die Kirche ist nach seiner Amtszeit dauerhaft anders als sie vorher gewesen ist. Das hat durchaus Größe.

Frage: Was genau ist jetzt anders?

Antwort: Papst Franziskus hat neue Methoden der Entscheidungsfindung und des Austausches angestoßen und etabliert. Dahinter wird auch sein Nachfolger nicht mehr zurückgehen können. Man kann jetzt wieder offen diskutieren in der Katholischen Kirche – anders als beim Hardcore-Katholizismus der beiden Vorgänger-Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI., die die notwendigen Diskussionen um den Weg der Kirche in die Zukunft verhindert oder zum Verstummen gebracht haben.

Frage: Papst Franziskus hat sich oft sehr menschlich gezeigt. Schon direkt nach seiner Wahl sagte er einfach “Buona Sera” (Guten Abend) vom Balkon des Petersdomes zur Menschenmenge auf dem Petersplatz. Er scherzte viel, rief Leute spontan am Telefon an. War das etwas Neues?

Antwort: Ich sehe hier Parallelen zu Papst Johannes XXIII., von dem ja auch Geschichten erzählt werden, dass er zum Beispiel manchmal aus dem Vatikan ausgebüxt ist und sich in Rom unter die Leute gemischt hat. Franziskus hat das auch so gemacht – allerdings nicht nur heimlich, sondern auf großer Bühne. Franziskus traf bewusst nicht nur die Mächtigen, Einflussreichen und Großkopferten, sondern versuchte, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, die betroffen von einer Situation waren und ihm authentisch Auskunft geben konnten. Da war er wirklich Seelsorger. Das ist für mich die Überschrift über seinem Pontifikat: Der Papst als Seelsorger. Über seine beiden Vorgänger hätte man das nicht gesagt: Benedikt XVI. war der Theologe und Johannes Paul II. der Weltpolitiker.

Frage: Doch Papst Franziskus hat trotz seines Charismas nicht verhindern können, dass die katholische Kirche in einer tiefen Krise steckt. Warum?

Antwort: Institutionen wie die Kirche oder das Papsttum allein können die Pluralisierung und Säkularisierung nicht aufhalten. Dennoch: Franziskus hat in vielen Bereichen Position bezogen – etwa bei Migration, Klimakrise und Ökumene – und so die Leute gestärkt, die vor Ort die Arbeit in der Kirche leisten. Es gab ja manche Situation der Vorgängerpäpste, wo man sich nach außen hin rechtfertigen musste nach dem Motto: Ich bin zwar katholisch, aber ich bin nicht der Meinung dieses Papstes – zum Beispiel Johannes Pauls Fixierung auf eine strenge Sexualmoral oder Benedikts Vorliebe für traditionelle liturgische Formen. Das war bei Franziskus anders. Er war kein Papst, für den man sich bei der kirchlichen Arbeit vor Ort hätte permanent distanzieren müssen.

Frage: Was wird von Papst Franziskus bleiben?

Antwort: Es ist die Wiederentdeckung der katholischen Soziallehre, des politischen Engagements von Kirche. Das war ein prägnantes Zeichen seiner Amtszeit von Anfang an: Die erste Reise von Papst Franziskus außerhalb von Rom ging auf die Mittelmeerinsel Lampedusa zu den Migranten. Außerdem hat Franziskus kritisch die globalen Probleme benannt: Klimakrise, fehlende soziale Gerechtigkeit, Migration, Angriffe auf die Demokratie.

Frage: Was hat er in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit, der Frauenfrage erreicht? Noch immer gibt es in der katholischen Kirche keine Diakoninnen, geschweige denn Priesterinnen.

Antwort: Das ist vielleicht die Schattenseite seines Pontifikats: Er hat manche Dinge am Ende nicht wirklich so weit vorangebracht, wie es notwendig wäre; vieles ist noch in der Schwebe. Manchmal hätte ich mir gewünscht, er hätte Dinge, die offensichtlich entscheidungsreif waren, einfach entschieden – auch mit dem Risiko, dass dann nicht mehr alle mitkönnen – und nicht noch mal eine Zusatzrunde gedreht. Etwa bei der Öffnung des Diakonen-Amts für Frauen oder bei der Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester. Hier nichts zu entscheiden, ist ja auch eine Entscheidung, die viele nicht mehr verstehen.

Frage: Und in Sachen Missbrauch?

Antwort: Hier hat Franziskus zwar vom Kampf gegen den Klerikalismus gesprochen, aber systemische Faktoren, die sexuellen Missbrauch in der Kirche begünstigen, hat er nicht wirklich bearbeitet. Was er mit Sicherheit unterschätzt hat, war der Widerstand der Institution Vatikan, die eingefahrenen Wege in der römischen Kurie. Allerdings, und das ist gar nicht so offensichtlich: Franziskus hat hinter den Kulissen sehr viele Strukturen verändert. Auch das lässt sich nicht so einfach rückgängig machen. Und auch hier wird es entscheidend sein, ob sein Nachfolger diesen Weg weitergeht.