“Man kann jetzt wieder offen diskutieren in der Katholischen Kirche”, sagt die Tübinger Theologin über Franziskus’ Vermächtnis. Andererseits habe der Papst auch viele entscheidungsreife Fragen nicht angepackt.
Die katholische Theologin Johanna Rahner sieht Papst Franziskus kirchenhistorisch in einer bedeutenden Rolle. “Franziskus ist mit Sicherheit ein Papst gewesen, von dem man sagen kann: Die Kirche ist nach seiner Amtszeit dauerhaft anders als sie vorher gewesen ist”, sagte Rahner in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Papst Franziskus war am Morgen des Ostermontags im Alter von 88 Jahren an den Folgen einer schweren Lungenentzündung gestorben, wie der Vatikan bestätigte.
Rahner sagte weiter, Papst Franziskus habe neue Methoden der Entscheidungsfindung und des Austausches angestoßen und etabliert. “Dahinter wird auch sein Nachfolger nicht mehr zurückgehen können”, sagte Rahner (63), die Professorin für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen ist. “Man kann jetzt wieder offen diskutieren in der Katholischen Kirche – anders als beim Hardcore-Katholizismus der beiden Vorgänger-Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI.”, betonte Rahner. Die beiden Vorgänger hätten “die notwendigen Diskussionen um den Weg der Kirche in die Zukunft verhindert oder zum Verstummen gebracht haben”.
Kritisch merkte die katholische Theologin jedoch an: “Manchmal hätte ich mir gewünscht, Franziskus hätte Dinge, die offensichtlich entscheidungsreif waren, einfach entschieden” – etwa bei der Öffnung des Diakonen-Amts für Frauen oder bei der Abschaffung des Pflichtzölibats für Priester. Hier nichts zu entscheiden, sei “ja auch eine Entscheidung, die viele nicht mehr verstehen”. In Sachen Missbrauch habe Franziskus zwar “vom Kampf gegen den Klerikalismus gesprochen, aber systemische Faktoren, die sexuellen Missbrauch in der Kirche begünstigen, hat er nicht wirklich bearbeitet”, so Rahner.
Franziskus habe jedoch in vielen Bereichen Position bezogen – etwa bei Migration, Klimakrise und Ökumene – “und so die Leute gestärkt, die vor Ort die Arbeit in der Kirche leisten”, sagte die Theologin. Von Franziskus’ Pontifikat bleiben werde auch eine “Wiederentdeckung der katholischen Soziallehre, des politischen Engagements von Kirche”.
Im Vergleich mit anderen Päpsten sieht Rahner bei Franziskus Parallelen zu Papst Johannes XXIII., der von 1958 bis zu seinem Tod 1963 das Oberhaupt der Katholischen Kirche war. “Franziskus traf bewusst nicht nur die Mächtigen, Einflussreichen und Großkopferten”, sondern sei als Seelsorger vielen Menschen konkret nahe gewesen, sagte Rahner und fügte hinzu: “Das ist für mich die Überschrift über seinem Pontifikat: Der Papst als Seelsorger.”