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“Tatort” über Liebes- und Sexsüchtige ist kein großer Wurf

Eine Frau liegt erschossen in ihrem Bett. Klar, dass der Verdacht auf die sechs Männer fällt, mit denen sie am Tag vor ihrem Tod Sex hatte. Der vorletzte Borowski-Fall taucht in das Thema Sexsucht ein – und enttäuscht.

“Perfekt können wir nicht. Perfekt zerstören wir sofort”, erklärt die junge Frau Kommissar Borowski. Mit “wir” sind Liebes- und Sexsüchtige gemeint: Menschen, deren zwanghafte sexuelle und emotionale Muster sich “zerstörerisch auf Beruf, Familie und Selbstachtung auswirken”, wie die (reale) Organisation der “Anonymen Sex- und Liebessüchtigen” das Krankheitsbild auf ihrer Homepage beschreibt. Die nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker agierende Gruppierung, kurz SLAA, kommt auch in dem “Tatort: Borowski und das hungrige Herz” vor, den Das Erste am 12. Januar von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt. Im Film ist die Selbsthilfegruppe der einzig verbliebene Stützpfeiler im Leben der jungen Frau, Nele.

Denn Andrea ist tot: Ihre Freundin, die sie einst bei SLAA kennenlernte, liegt nach einer privaten Gruppensex-Party erschossen in ihrem Bett. Sie war rückfällig geworden, hatte fünf Fremde zu sich nach Hause eingeladen. Sex hatte sie allerdings, wie sich zeigt, in den Stunden vor ihrem Tod mit gleich sechs Männern. Nele (Laura Balzer) ist diejenige, die sie am nächsten Morgen tot auffindet. “Sie machen das gut”, sagt der geschmeidige Kommissar Borowski (Axel Milberg) zu der völlig verstörten jungen Frau, nachdem er die für ihn relevanten Infos erhalten hat und dringend weiter muss.

Ein schrecklicher Moment, die Kamera verharrt auf Neles tränenüberströmtem Gesicht: ein Anblick, aus dem absolute Einsamkeit spricht. Von aller Welt verlassen ist diese junge Frau, bis auf ihr Baby. Balzer spielt ihre Figur mit nachhaltiger Eindrücklichkeit, irrlichternd zwischen kindlicher Anhänglichkeit und plötzlicher Verschlagenheit. Kommissarin Mila Sahin (Almila Bagriacik) will Nele nicht aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen; Borowski hingegen ist sich sicher, dass der Mörder unter Andreas Sexualpartnern zu finden ist. Doch von denen fehlen die Klarnamen – um hier weiterzukommen, lässt sich Sahin auf die Teilnahme an einer Outdoor-Swinger-Party ein.

“Borowski und das hungrige Herz” erzählt von einer Krankheit, über die, wenn überhaupt, eher reißerisch berichtet wird. Zwar zeichnet der von Katrin Bühlig geschriebene und Maria Solrun inszenierte “Tatort” Neles Verlorenheit nach, zeigt die Abgründe ihrer Sucht. Zugleich jedoch verwässert der Film sein offensichtliches Anliegen, aufzuklären, etwa indem er unpassenderweise verschiedene Spielarten von Sex vorstellt und dabei auch vor kleineren Witzeleien – siehe Swinger-Party – nicht zurückschreckt.

Dazu kommen viel zu viele (verdächtige) Figuren und Erzählfäden, die ebenfalls zulasten einer ernsthaften Verhandlung der Abhängigkeit gehen. Da kann der Kommissar noch so oft und verständnisvoll betonen, dass Sucht eine Krankheit sei und dass man wie nach Alkohol, Essen oder Arbeit eben auch süchtig nach Sex sein könne. Dabei wird auch mal der Gegensatz zwischen Vernunft und Lust aufgemacht, dann aber nicht weiter verfolgt.

Überhaupt fehlt es diesem Krimi an einer alles überwölbenden Frage, einem durchgehenden Tonfall, einer verbindenden Struktur. So mäandern Film und Handlung ohne wirkliche Spannung vor sich hin. Was auch daran liegen mag, dass das Identifikationspotenzial gering ist: Einerseits sind da zu viele, eher oberflächlich umrissene Protagonisten, andererseits die durchaus anrührende Figur der Nele, die es den Zuschauenden in ihrer Rätselhaftigkeit aber nicht leicht macht.

Auch die Dynamik zwischen Nele und Borowski und die mitschwingende Frage “Wer manipuliert hier eigentlich wen?” ist nicht uninteressant, wird jedoch nicht mit der nötigen Konzentration durchgespielt. Dazu stören kleinere und größere dramaturgische Ungenauigkeiten. So ist Borowskis vorletzter Fall – mit dem folgenden “Tatort” wird Milberg seine Kommissars-Karriere nach über 20 Jahren beenden – trotz interessanter Ansätze, manch guter Szene und einer gelungenen Musikspur insgesamt leider kein großer Wurf.