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Taktstock-Taktiererei vorerst beendet

Gotthold Schwarz ist neuer Leiter des Thomanerchores. Sein Vertrag läuft aber nur fünf Jahre. Mitte 2012 könnte der Taktstock also erneut in andere Hände wechseln. Das Wahlverfahren zog einige Kritik auf sich

epd

Die Stadt Leipzig hat ihren 17. Thomaskantor nach dem Komponisten Johann Sebastian Bach (1685-1750). An ein neues Gesicht müssen sich die Knaben des international berühmten Thomanerchors allerdings nicht gewöhnen. Den Taktstock hält künftig der Dirigent Gotthold Schwarz in der Hand, der bereits seit 1979 als Stimmbildner bei den Thomanern tätig ist und nach dem krankheitsbedingten Rücktritt von Georg Christoph Biller Anfang 2015 auch die Interimsleitung des Chores übernahm.
Am vorletzten Samstag wurde der in Zwickau geborene neue Thomaskantor offiziell ins Amt eingeführt. Es ist der Abschluss einer mehr als einjährigen Suche nach einem neuen Leiter für den über 800 Jahre alten Knabenchor. Dabei war Schwarz aufgrund seines Alters und seiner Position als Vertreter des Thomaskantors eigentlich gar nicht für das Amt im Gespräch.
Für die Suche nach einem neuen Thomaskantor hatte die Stadt ein kompliziertes Verfahren angestoßen. Eine Auswahl- und eine größere Findungskommission wurden eingesetzt, an denen Vertreter von Parteien, kulturellen Institutionen und der Kirche beteiligt waren. Das Ziel war der größtmögliche Konsens. Seit der Reformation wird der Thomaskantor in Leipzig von der Stadt angestellt, weshalb bei der Personal­entscheidung der Stadtrat das letzte Wort hat.
Vier Kandidaten wurden zu Probewochen eingeladen, doch keiner konnte die Findungskommission vollends überzeugen. Überraschend wurde das Verfahren im Mai einstimmig beendet und Gotthold Schwarz für das Amt vorgeschlagen. Der Stadtrat bestätigte die Wahl im Juni.
An der fachlichen Eignung des 64-Jährigen besteht in der Musikwelt und in der Stadt kaum ein Zweifel, doch das Verfahren hinterlässt einige Fragezeichen. Von der unerwarteten Entscheidung vor den Kopf gestoßen fühlen sich vor allem die vier eingeladenen Kandidaten. Das aufwendige Verfahren verlangte einen großen Einsatz der Bewerber, die ihre eigenen Verpflichtungen dem Probedirigat anpassen mussten.
Öffentlich zu dem Ausgang des Verfahrens äußern möchten sich die meisten nicht, zum Teil mit dem Hinweis auf die „Würde des Amtes“ des Thomaskantors. Nur der 51-jährige Dresdner Dirigent Matthias Jung scheut keine Kritik. Seiner Ansicht nach hat das Auswahlverfahren den Bewerbern und auch dem Ansehen der Stadt geschadet.
Von einer „viel beschworenen Transparenz“ bei der Suche habe er nichts wahrnehmen können, sagt Jung. Seiner Einschätzung nach glich die Auswahl- und Findungskommission eher einem „undurchdringlichen Dschungel“, in dem es um die Durchsetzung der Interessen einzelner Beteiligter gegangen sei. Dass der Wettbewerb wirklich fair bewertet wurde, bezweifelt er. Bis heute habe er noch keine Auswertung seines Probedirigats erhalten, sagt Jung.
Den neuen Kantor Gotthold Schwarz nimmt Jung von seiner Kritik explizit aus. Er habe sich unter anderem als Vertreter von Thomaskantor Biller große Verdienste erworben.
Nicht nur Jung, auch die CDU-Stadträtin Andrea Niermann sieht den Ausgang des Verfahrens kritisch. Im Zuge der Ernennung von Schwarz im Stadtrat lobte sie den Dirigenten zwar nachdrücklich als „den Besten, den es jedenfalls zurzeit für das Amt des Thomaskantors gibt“. Doch sie fügte hinzu: „Verschweigen will ich nicht, dass durch das Verfahren, ob verschuldet oder nicht, das soll an dieser Stelle offenbleiben, unser Ruf als Stadt Leipzig zumindest ein bisschen gelitten hat.“
Die Frage bleibe für sie, warum es der mehr als einjährigen Suche bedurfte, um zu diesem „naheliegenden Ergebnis“ zu kommen, sagte Niermann. Das nächste Findungsverfahren müsse anders laufen, „als das, was wir gerade hinter uns haben“, forderte die CDU-Politikerin.
Es sei zu früh, darüber zu sprechen, wie das nächste Verfahren aussehen werde, sagt dazu der Geschäftsführer des Thomanerchors, Stefan Altner. Zu „gegebener Zeit“ werde dies mit den zuständigen Entscheidungsträgern vereinbart. Doch die Suche nach dem 18. Thomaskantor nach Bach wird vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Schwarz feiert im kommenden Jahr seinen 65. Geburtstag. Sein Vertrag wurde nur für fünf Jahre geschlossen. Ab Mitte 2021 wird also aller Voraussicht nach schon wieder ein neues Kapitel in der Geschichte des traditionsreichen Thomanerchors aufgeschlagen.