Sonntag ist ein Schicksalstag für die evangelische Kirche. Zumindest in der Theorie. Dann bestimmen die Gemeindemitglieder, wer in ihrer Kirchengemeinde für die nächsten vier Jahre das Sagen hat.
Etwa 5500 Presbyterinnen und Presbyter in der Evangelischen Kirche von Westfalen, gut 800 Kirchenvorstände in der Lippischen Landeskirche: Sie leiten die Kirchengemeinde, bestimmen, wo es langgeht. Gemeinsam mit den Pfarrerinnen und Pfarrern.
Die Gemeindeleitung wacht darüber, dass in der Gemeinde „das Evangelium rein und lauter verkündet wird“ (westfälische Kirchenordnung). Sie legt die Zahl der Gottesdienste und Zeiten fest. Sie ist verantwortlich für die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Sie stellt die haupt- und nebenberuflichen Mitarbeiter ein und übt die Dienstaufsicht aus. Sie verwaltet das Vermögen der Kirchengemeinde.
Das alles bedeutet große Verantwortung: für das geistliche Leben der Gemeinde, für Finanzen und Personal in der Größenordnung eines mittelständischen Betriebes. Der Wahlsonntag – ein Tag der Entscheidung also.
Sollte man jedenfalls meinen.
Die Wirklichkeit allerdings sieht nüchterner aus. Nur in 23 Prozent der westfälischen Gemeinden fand beim letzten Mal (2012) eine echte Wahl statt. In Lippe waren es 7,25 Prozent. In den meisten anderen Gemeinden gab es gerade mal so viele Bewerberinnen und Bewerber, wie es freie Plätze gibt. In manchen Gemeinden sogar weniger. Ein Trend, der sich auch diesmal weiter zuspitzen dürfte.
Die Gründe? Zum einen kann man nicht darüber hinwegsehen, dass die Mitarbeit in der Kirchengemeinde insgesamt an Zuspruch verloren hat. Das macht sich dann auch bemerkbar in der Bereitschaft, in der Gemeindeleitung mitzuarbeiten. Zum anderen, das zeigen Umfragen, klagen Ehrenamtliche über ineffizientes Arbeiten in den Kirchenvorständen. Über das Gefühl, Zeit zu vergeuden. Von den Hauptamtlichen nicht wirklich an der Leitung beteiligt zu sein. Oder von der Fülle an notwendiger Sach- und Detailkenntnis überfordert zu sein. Oft scheuen gerade verdiente Mitarbeiter, sich einer echten Wahl zu stellen – und damit auch eine Wahlniederlage zu riskieren.
Diese Entwicklung weckt Besorgnis. Zu Recht. Mittlerweile hört man sogar, damit werde die Demokratie in der Kirche in Frage gestellt; die presbyterial-synodale Grundordnung der evangelischen Kirche sei in Gefahr.
Das ist dann aber vielleicht doch ein bisschen übertrieben. Demokratie, die Leitung der Kirche durch die Basis, hängt nicht allein davon ab, ob „echte“ Wahlen stattfinden. Sondern davon, dass es überhaupt noch Ehrenamtliche gibt, die selbstbewusst und fröhlich bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Dass es sie gibt, ist ein Grund zu Freude und Dankbarkeit. Man sollte das nicht schlechtreden. Sondern als immer noch gesunden Ausgangspunkt akzeptieren, um weiter zu hoffen und zu beten, zu feiern und an Verbesserungen zu arbeiten.
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Tag der Entscheidung
5500 in Westfalen, gut 800 in Lippe: So viele Menschen setzen Zeit und Energie ein, um ihre Kirchengemeinde mitzuleiten. Das ist noch immer ein Grund für Freude und Dankbarkeit