Wer die Orte besichtigen will, an denen der Reformator Martin Luther (1483-1546) in Wittenberg gewirkt hat, steht derzeit an einer der wichtigsten Gedenkstätten vor verschlossenen Türen. Das Lutherhaus im einstigen Augustinerkloster, wo Luther von 1508 an mit Unterbrechungen bis zu seinem Tod lebte, wird seit Herbst letzten Jahres für rund 15,6 Millionen Euro saniert. Neben einer energiesparenden Gebäudeleittechnik und der Dämmung der Decken soll auch das Raumklima des Gebäudes verbessert werden. Doch an der geplanten Klimaschleuse, die für gleichmäßige Klimaverhältnisse sorgen soll, gibt es Kritik. Für ihren Einbau soll das sogenannte Direktorenhaus aus den 1930er Jahren weichen.
Symbolträchtiges Direktorenhaus der NS-Zeit
Das Gebäude steht nach Auffassung der Kunsthistorikerin Insa Hennen symbolhaft für die Instrumentalisierung des Luthergedenkens in der NS-Zeit. In dem Haus wohnte Oskar Thulin (1898-1971), von 1930 bis 1969 Direktor des damals Lutherhalle genannten heutigen Lutherhauses im ehemaligen Augustinerkloster. Das sogenannte Direktorenhaus wurde für Thulin im Heimatstil erbaut. Insa Hennen ist derzeit Post-Doc-Stipendiatin an der Wittenberger Leucorea, einer Außenstelle der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Sie weist auf die Verbindungen Thulins zum Nationalsozialismus hin. Er sei NSDAP- und SA-Mitglied gewesen. Ab 1933 habe er etwa als Stadtrat die von ihm eingeführten Lutherfesttage organisiert.
Diese hätten die Bevölkerung auch auf die Inanspruchnahme Luthers durch die Nationalsozialisten und die Deutschen Christen einstimmen sollen – eine protestantische Strömung, die den Nationalsozialisten nahestand. Thulin habe den Reformator als Vordenker von Adolf Hitler und der Nationalsozialisten verehrt. Das gehe aus vielen seiner schriftlichen Äußerungen hervor, sagt Hennen.
Umbau wäre teurer als Neubau
Der Erhalt des Direktorenhauses wäre für den Leiter der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, Thomas T. Müller, allerdings zu kostspielig. Das Direktorenhaus sei für die geplante Klimaschleuse nicht nutzbar. Ein Umbau des Gebäudes sei weitaus teurer als ein Neubau, sagt er. Zudem würde bei einem Umbau des bestehenden Gebäudes der darunter liegende historische Gewölbekeller aus dem 16. Jahrhundert zerstört werden. Nun soll das Direktorenhaus abgerissen werden. Dem zuständigen Bauordnungsamt des Landkreises Wittenberg liegt nach Angaben eines Sprechers bereits ein entsprechender Bauantrag vor, entschieden sei darüber allerdings noch nicht.
Die Kunsthistorikerin Hennen, die selbst von 1995 bis 2003 im Lutherhaus tätig war und inzwischen freiberuflich tätig ist, kritisiert den Abrissplan. Das Wohnhaus sei „eine erstrangige Quelle zum Verständnis“ des Lebensgefühls der Persönlichkeit Thulins, sagt die Kunsthistorikerin. Ein Abriss würde diese historische Quelle vernichten. Auch die baulichen Eingriffe Thulins in das Lutherhaus seien ohne sein früheres Wohnhaus weniger gut zu verstehen, bemängelt Hennen. Zu diesen Eingriffen zählten etwa die Entfernung aller Hinzufügungen aus den Zeiten nach der Reformation, insbesondere die Tilgung der Spuren des 19. Jahrhunderts.