Der Bundespräsident sieht in Rainer Maria Rilke nicht den Prototyp des einsamen Dichters. Beim Besuch der großen Rilke-Schau in Marbach würdigt das Staatsoberhaupt die Weltgewandtheit des “Wortmagiers”.
Nach Einschätzung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss das während seiner Schulzeit kolportierte Bild von Rainer Maria Rilke als einsamem Dichter korrigiert werden. “Rilke war ein Kosmopolit, der im habsburgischen Prag geboren wurde”, sagte Steinmeier am Donnerstag bei einem Besuch der großen Rilke-Ausstellung in Marbach. Rilkes Reisen führten ihn nach Spanien, Italien, Frankreich, Schweden, Dänemark, Russland und Nordafrika – und er unterhielt ein europaweites Netzwerk von Schriftstellern, Mäzenen, persönlichen Freunden und Familie.
Steinmeier würdigte die Schau im Literaturmuseum der Moderne des Deutschen Literaturarchivs Marbach (DLA) als eine “wirklich wichtige Ausstellung, die unser kulturelles Gedächtnis erheblich erweitern wird und sicherstellt, dass Marbach einzigartig in der Rilke-Forschung nicht nur bleibt, sondern jetzt erst recht werden wird”.
Der seit Gründung des Deutschen Literaturarchivs systematisch aufgebaute Bestand von Rilke-Archivalien hatte 2022 mit der Übernahme des Rilke-Archivs Gernsbach umfassend erweitert werden können. “Man sieht einfach, dass die im Nachlass erworbenen Dokumente dieses Rilke-Bild auch wirklich verändern helfen und der Wahrheit wahrscheinlich näherkommen als sie es bisher waren”, sagte Steinmeier.
Bei der eigentlichen Eröffnung am 4. Dezember hatte der Bundespräsident in einer Videoansprache Rainer Maria Rilke (1875-1926) als einen “Wortmagier” voller Musikalität gewürdigt. Rilke sei einer der ganz großen Dichter des Deutschen, der “unsere Sprache wie kaum ein anderer so wunderbar zum Klingen bringen konnte”, sagte Steinmeier.
Der Bundespräsident hatte wegen eines Staatsbesuchs in Großbritannien und Nordirland nicht persönlich an der Eröffnungsveranstaltung teilnehmen können. Die multimediale Ausstellung “Und dann und wann ein weißer Elefant. Rilkes Welten” ist bis 21. Januar 2027 zu sehen.
Sie zeigt auf rund 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche Manuskripte, Briefe, Notizbücher, Skizzen, Bücher und Bilder. Beleuchtet werden Rilkes familiäre, freundschaftliche und amouröse Beziehungen sowie seine Ambitionen als Bürger, Künstler und Netzwerker im damaligen Literaturbetrieb. Die Ausstellung ist der Auftakt des Rilke-Jubiläumsjahrs zum 150. Geburtstag des Dichters am 4. Dezember 2025 und zum 100. Todestag am 29. Dezember 2026.