Es ist weit mehr als ein drohendes Szenario. Die UN-Beauftragte zur Verhinderung von Genozid, Alice Nderitu, sieht in der sudanesischen Region Darfur starke Anzeichen, dass die derzeit herrschende Gewalt bereits ein Völkermord ist. „Zivilisten werden angegriffen und getötet wegen ihrer Hautfarbe, wegen ihrer Ethnie, weil sie sind, wer sie sind“, sagte sie kürzlich vor dem Weltsicherheitsrat. Wie zahlreiche Menschenrechtsorganisationen schlägt Nderitu seit Monaten Alarm wegen grausamer Verbrechen, begangen vor allem von arabischen Milizen an der schwarzen, nicht-arabischen Bevölkerung.
Aktuell belagern die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) die größte Stadt in Nord-Darfur, El Fasher, die bisher noch unter Kontrolle der sudanesischen Armee stand. Jeden Tag würden bei den Kämpfen Zivilistinnen und Zivilisten verletzt und getötet, kein Ort in der Stadt sei mehr sicher, erklärte „Ärzte ohne Grenzen“. Seit dem 10. Mai wurden dort demnach mindestens 145 Menschen getötet und mehr als 700 verletzt. Hilfsorganisationen können wegen der Gewalt kaum noch arbeiten.
Mehr als eine Million Menschen leben derzeit in El Fasher, viele davon sind aus umliegenden Gebieten in die Stadt geflohen. „Wir sehen in El Fasher, wie sich ein Blutbad vor unseren Augen abspielt“, beklagte Claire Nicolet, Programmleiterin von „Ärzte ohne Grenzen“.
Die westsudanesische Darfur-Region – die etwa die Fläche Frankreichs hat – wird seit Jahrzehnten von rassistisch motivierter Gewalt geprägt. Um Proteste der nicht-arabischen Bevölkerung und ein Aufbegehren von Rebellengruppen Anfang der 2000er Jahre niederzuschlagen, verbündete sich der damalige sudanesische Staatschef Omar al-Baschir mit den arabischen Dschandschawid-Milizen, aus denen später die RSF-Miliz und ihr Befehlshaber Mohamed Hamdan Dagalo, genannt „Hemeti“, hervorging. Sie begingen die schlimmsten Verbrechen.
Nach UN-Angaben wurden von 2003 bis 2005 rund 200.000 Menschen getötet – ein Teil starb an Hunger und Krankheiten. Etwa 1,5 Millionen Angehörige der schwarzen Bevölkerung seien vertrieben worden. Der Internationale Strafgerichtshof nahm 2005 Ermittlungen wegen Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auf und erließ Haftbefehle unter anderem gegen den 2019 gestürzten und seitdem im Sudan inhaftierten al-Baschir.
Nach dessen Sturz durch das Militär waren „Hemeti“ und der Armeegeneral Abdel Fattah al-Burhan Verbündete. Doch dann eskalierte Mitte April 2023 der Machtkampf zwischen den beiden Generälen. Seitdem herrscht Krieg in dem nordostafrikanischen Land. Wieder ermittelt der Internationale Strafgerichtshof. Und Überlebende der Verbrechen vor rund 20 Jahren sind erneut Opfer von Verfolgung.
Die RSF gelten als äußerst brutal. Ihnen werden Plünderungen, Morde und Vergewaltigungen zur Last gelegt. Bei der Eroberung der Stadt El Geneina in West-Darfur vor knapp einem Jahr wurden laut einem Anfang 2024 veröffentlichten UN-Expertenbericht zwischen 10.000 und 15.000 Menschen getötet. Dokumentiert ist die Zerstörung auf Satellitenbildern. Mehr als 100.000 Menschen sind inzwischen ins Nachbarland Tschad geflohen.
Große Teile von Darfur sind von Hilfe abgeschnitten. Aus Nyala im Süden etwa meldet „Ärzte ohne Grenzen“, dass die Menschen in der zerstörten Stadt ohne Strom und Wasser lebten, ohne Gesundheitsvorsorge. Die Helferinnen und Helfer berichten von einer hohen Sterblichkeit im Krankenhaus, die Angst vor einer Hungersnot steigt.
Auch andere Teile des Landes sind betroffen, besonders die Hauptstadt Khartum ist schwer umkämpft. Der Krieg im Sudan hat zur größten Vertreibungskrise weltweit geführt. Mehr als 9 Millionen der knapp 47 Millionen Einwohner des Landes sind vor den Kämpfen auf der Flucht. Auch UN-Generalsekretär António Guterres erinnert immer wieder an das Leiden der Sudanesinnen und Sudanesen. Doch die Welt habe diese Menschen vergessen.