Schon gewusst, was ein “Bscheißerl” ist? Eine Blusenattrappe oder der sichtbare Blusenteil am Dirndl. Zu diesem Kleid gibt’s eine neue Ausstellung im Textilmuseum Augsburg. Sie beleuchtet Fröhliches wie Finsteres.
Die Welt ist nicht genug, fürs Dirndl geht’s nun raus ins All. Wie das? Das zeigt die neue Sonderausstellung im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) in Augsburg. Dort läuft vom 4. April bis 19. Oktober die Schau “Dirndl – Tradition goes Fashion”. Sie zeichnet nach, wie aus einem Bauernkleid ein modisches Must-have wurde.
Los geht’s mit der Klischee-Keule. Die haut einen am Eingang um, und zwar als riesiges Alpenpanorama, in das hinein drei Dirndl drapiert sind. Echt jetzt? Geht’s noch erwartbarer? Nun, ein zweiter Blick lohnt: Der lässt erkennen, dass hier weder Zillertal noch Zugspitze zu sehen sind. Vielmehr ist die Kulisse von Künstlicher Intelligenz generiert. Das lässt sich leicht am blütenbunten Vordergrund ablesen. Denn Bergwiesen mögen farbenfroh florieren – aber sicher nicht in Form von solchen skizzenhaft-generischen “Blumen”, wie sie die KI nun wahrlich nicht naturferner hätte gedeihen lassen können.
Der KI-Einsatz ist passend. Denn rund ums Dirndl ist schon früh so manches anders als es scheint, wie die Ausstellung zeigt. So informiert sie zunächst über die Geschichte des Kleides: “Seit über 170 Jahren stellt das Dirndl ein überaus beliebtes Kleidungsstück dar”, heißt es. “Es steht für Tradition und Mode – weit über Süddeutschland und Österreich hinaus. Ursprünglich als praktisches Arbeitskleid einer Dirn oder Magd genutzt, waren es um 1900 jedoch die Städterinnen, die das Dirndl in der Sommerfrische als modisches Kleid entdeckten.”
Diese Damen ließen sich darin sogar extra im Studio ablichten und schickten ihr Verkleidungsfoto dann als Postkarte in die Heimat. Derlei Ferienspaß illustriert eine Aufnahme von etwa 1895: Sie zeigt eine junge Österreich-Touristin, die im Dirndl und mit Rechen und Sichel posiert.
Sodann mag Museumsdirektor Karl Borromäus Murr noch so sehr recht haben, wenn er sagt: “Das Dirndl ist ein Kleidungsstück, das man mit Bayern fast synonym verwendet.” Zur Wahrheit gehört dennoch auch: Ausgerechnet zwei Preußen tragen maßgeblichen Anteil am Erfolg des Dirndls. Anno 1900 eröffneten Julius und Moritz Wallach, zwei Brüder jüdisch-westfälischer Herkunft, in München ein “Fachgeschäft für Landestrachten”, wie im tim zu lesen ist. “Mit seiner kreativen Schneiderwerkstatt” – die in höchsten Adelskreisen geschätzt worden sei – “machte das Münchner Unternehmen das Dirndl salonfähig.”
Später half dem Dirndl der Erfolg der “Sissi”-Filme, in denen Romy Schneider als österreichische Kaiserin entsprechend gewandet war. Die Ausstellung präsentiert ein rosa Original von 1955. Ein anderes Stück Zeitgeschichte sind jene Dirndl, die Hostessen 1972 bei den Olympischen Spielen in München trugen.
Dirndl gibt es in der Schau noch und nöcher zu bestaunen, alte wie neue, gedeckte wie schrille, darunter solche für Wiesn-, Wasen- und sonstige Volksfestgänge. Gar nicht leicht, dazwischen aufzufallen. Die Haute-Couture-Kreationen schaffen’s trotzdem, an ihrer Opulenz kann man kaum vorbeischauen. Ausgestellt sind etwa Schneidereien der Mannheimerin Lola Paltinger, die an der Meisterschule für Mode in München gelernt und schon Promis wie Katy Perry und Kim Kardashian angezogen hat. Auch Vivienne-Westwood-Werke gibt’s zu sehen, außerdem afrikanische und portugiesische Dirndl-Interpretationen.
Interpretationen sind zum Schluss auch im “Dirnd-Lab” gefragt, der Mitmachecke der Ausstellung. Da kann man zum Beispiel – Gruß ans Alpenpanorama – selbst zur KI greifen und diese bitten, bestimmte Berufsbilder im Dirndl darzustellen. Feuerwehrfrau und Krankenschwester erscheinen daraufhin im Trachtenkleid – und auch eine Astronautin. Dirndl goes Weltraum.
Doch die Probierabteilung bietet mehr als Spaß, sie beleuchtet auch, was im Historienbereich der Hauptschau schon anklingt: Dirndl ist mehr als schöner Schein, rund ums Dirndl gibt’s auch Dunkles. So haben die Nazis versucht, dem Kleid seine regionalen Eigenheiten auszutreiben, ganz im Sinne ihrer Idee eines uniformen “Volkskörpers”. Heute gibt es Instrumentalisierungsversuche von rechten Parteien wie AfD und FPÖ – und dagegen Abwehr in Form von antifaschistisch bestickten Schürzen. Auch die Einschnürung des Körpers durch das Dirndl und die damit einhergehende Sexualisierung seiner Trägerinnen werden thematisiert.
Ist es also traditions- und heimatverbunden, das Dirndl, oder ein Ausdruck von Fremdbestimmung und damit nicht mehr zeitgemäß? Nun – die Antworten auf diese Frage sind wohl ähnlich vielfältig wie Schürzen, Schleifen und Stoffmuster.