BERLIN – Der Krieg ist noch nicht vorbei, da treffen im Frühjahr 1945 zwei ehemalige Ostfrontkämpfer eine zukunftsträchtige Entscheidung. In Flensburg richten die Wehrmachtsoffiziere Helmut Schelsky und Kurt Wagner einen Suchdienst für Vermisste ein. Damals sind 30 Millionen Deutsche voneinander getrennt. Schelsky und Wagner gehen davon aus, das jeder Suchende auch selbst vermisst wird. Daher bekommen in ihrer Kartei beide eine entsprechende Karte. Ihren Dienst nennen sie „Deutsches Rotes Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentral-Suchkartei“.
Situation nach 1945 erschwerte die Suche
Der so entstandene DRK-Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes spürt bis heute Vermissten in aller Welt nach. In den ersten Jahren waren es vor allem Plakate, Rundfunkdurchsagen und Heim-kehrerbefragungen, die Getrennte wieder zusammenbrachten. Von Online-Datenbanken und digita-len Bildern konnten die DRK-Mitarbeiter nur träumen. Die Situation nach Kriegsende erschwert die Arbeit nicht nur durch die chaotischen Zustände und die unzureichenden Werkzeuge; auch administrativ werden den Suchern durch die Besatzungsmächte Steine in den Weg gelegt.
Besonders heikel ist die Situation in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin. Hier können sich die Besatzer nicht auf einen gemeinsamen Suchdienst einigen. Um die Arbeit der beiden Einrichtungen im amerikanischen und im sowjetischen Sektor zu koordinieren, richtet das DRK am 30. Juli 1947 eine „Suchdienst-Verbindungsstelle“ in Berlin-Dahlem ein. Seit 1949 arbeitet der Suchdienst des DRK im Auftrag der Bundesregierung.
Diese Arbeit lässt sich das Innenministerium im Jahr 11,5 Millionen Euro kosten. „Wir helfen Menschen, die infolge von Flucht, Vertreibung und Katastrophen von ihren Angehörigen getrennt wurden“, sagt DRK-Präsident Rudolf Seiters. „Jeder Mensch hat das Recht zu erfahren, was mit ver-missten Angehörigen geschehen ist und einen Anspruch, mit ihnen wieder Kontakt aufzunehmen“ – damals wie heute.
Aktuelle Konflikte im Fokus
Der Zweite Weltkrieg ist seit über 70 Jahren vorbei. Die Ungewissheit, die er hinterlassen hat, dauert für viele Menschen an. Nicht alle Familien, die in den Kriegswirren ihre Angehörigen verloren, haben diese wiedergefunden. Die Nachforschungen des DRK-Suchdienstes gehen weiter. Im vergangenen Jahr gingen fast 9000 Suchanfragen zu Vermissten des Zweiten Weltkrieges ein. Im ersten Quartal 2017 waren es bereits 2240. Die Suchenden sind zumeist Kinder und Enkel der Verschollenen.
Der Fokus der Arbeit liegt inzwischen allerdings auf Betroffenen jüngerer Konflikte. Seit 2015 ist der DRK-Suchdienst stark mit Anfragen von Menschen beansprucht, die auf der Flucht aus aktuellen Krisengebieten getrennt worden sind. 2016 gab es rund 2800 solcher Anfragen – ein neuer Höchststand. Die Tendenz ist steigend: Im ersten Quartal dieses Jahres wurde der Dienst bereits über 600 Mal angefragt. Die Suchenden und Gesuchten von heute forschen nicht mehr zwischen Ostfront und Deutschland. Hauptherkunftsländer sind nunmehr Afghanistan, Syrien und Somalia.
Die Suche nach Vermissten des Zweiten Weltkrieges läuft im Jahr 2023 aus. Erst kürzlich unter-zeichneten Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und der DRK-Chef eine entsprechende Vereinbarung. Die Arbeit des Suchdienstes aber geht weiter, bekräftigt der DRK-Präsident: „Die andauernden weltweiten Konflikte mit Millionen von Flüchtlingen zeigen, wie unverzichtbar eine international vernetzte Institution wie der DRK-Suchdienst auch in Zukunft ist.“
https://www.drk-suchdienst.de/