Fluch des Wissens statt klare Sprache: Forschende kritisieren fehlende Verständlichkeit in Programmen zur Europawahl – von Go-to-Areas, Planetary-Health, Blackrock-Kapitalismus bis zu Carbon Border Adjustment Mechanism.
Parteiprogramme zur Europawahl sind nach Darstellung der Uni Hohenheim für die Wähler oft kaum zu verstehen. Sie enthielten Bandwurm-Sätze, Fachsprache und Fremdwörter. Im Durchschnitt habe sich so die Verständlichkeit gegenüber den Europawahlen 2019 und 2014 verschlechtert, wie die Universität am Freitag mitteilte. Es wurden Programme der Bundestagsparteien untersucht – darunter auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das in Gruppenstärke im Bundestag vertreten ist.
“Alle Parteien könnten verständlicher formulieren. Das zeigen gelungene Passagen in den Einleitungen und in den Schlussteilen”, sagte Studienautor Frank Brettschneider. Mit Blick auf die thematischen Kapitel spricht der Kommunikationswissenschaftler von einem “Fluch des Wissens”: Innerparteilichen Expertenrunden sei nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihre Fachsprache nicht verstehe.
Mit im Durchschnitt 5,3 Punkten auf dem Verständlichkeitsindex bestehe nach Ansicht der Autoren insgesamt ein deutliches Verbesserungspotenzial. Der Index reicht von 0 (formal schwer verständlich) bis 20 (formal leicht verständlich). Bei der Europawahl 2019 lag der Durchschnitt bei 5,8 Punkten und 2014 sogar bei 6,1 Punkten. Zum Vergleich: Haushaltsreden im Deutschen Bundestag kamen 2023 im Schnitt auf 15,0 Punkte.
Das verständlichste Wahlprogramm haben 2024 demnach CDU/CSU mit 8,2 Punkten. Es folge die Linke mit 7,3 Punkten. Auf dem letzten Platz liege das BSW mit 3,5 Punkten. Die Verständlichkeit wurde mit Hilfe der vom Communication Lab Ulm und der Universität entwickelten Software TextLab ermittelt. Diese berechne verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie eine Vielzahl von Parametern (Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze, Anteil abstrakter Wörter). Daraus werde der “Hohenheimer Verständlichkeitsindex” ermittelt.
Das längste Wahlprogramm komme von den Grünen (57.175 Wörter), das kürzeste von der CDU/CSU (7.204 Wörter). Der mit 60 Wörtern längste Satz finde sich im Programm der AfD.
Für die Europawahl haben die Forschenden auch ein Sprachmodell für die Erkennung populistischen Vokabulars verwendet. Demnach finden sich populistische Äußerungen vor allem in Programmen links und rechts der politischen Mitte. “Anti-Elitismus ist ein Mittel, das insbesondere von der AfD, der Linken und dem BSW eingesetzt wird”, sagte Studienautorin Claudia Thoms. Der höchste Anteil von Sätzen mit Anti-Elitismus-Inhalten finde sich beim BSW (13,4 Prozent), gefolgt von AfD (10,2 Prozent) und Linken (7,7 Prozent).