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Spontan leben und loben

Andacht über den Predigttext zum Sonntag Kantate: Matthäus 21, 14-17 (18-20)

Jrgen Flchle - Fotolia

Predigttext
14 Und es kamen zu ihm Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie. 15 Als aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien und sagten: Hosianna dem Sohn Davids!, entrüsteten sie sich 16 und sprachen zu ihm: Hörst du auch, was diese sagen? Jesus sprach zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: „Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“? 17 Und er ließ sie stehen und ging zur Stadt hinaus nach Betanien und blieb dort über Nacht.

Einfache Version: Jesus heilt – Kinder machen Radau – Priester sauer – Jesus haut ab. Mit Übernachtung.
Etwas differenzierter: Jesus vollbringt Wunder – Kinder staunen über das Erlebte und loben Jesus in einer gewissen Grundlautstärke – die Schriftgelehrten sind verärgert über die spontane Begeisterung der Kinder – Jesus sagt den Priestern seine Meinung und geht, um über Nacht fortzubleiben.

Ein Bruch in der Geschichte

Noch detaillierter: Blinde und Lahme werden im Tempel auf wundersame Art und Weise von Jesus geheilt – die im Tempel anwesenden Kinder haben so etwas noch nie gesehen und sind dermaßen begeistert, dass sie laut rufen und Jesus anpreisen – Das Priester-Gremium mag so etwas nicht, weil ihnen gerade etwas entgleitet – Jesus beobachtet das priesterliche Verhalten sehr kritisch, sagt ihnen mit Hilfe eines passenden Psalm-Zitates seine Meinung hierzu und geht, um bis zum nächsten Tag fortzubleiben.
Wie grob oder wie detailliert wir auch in diese Geschichte hineinschauen – die Bruchstelle oder Nahtstelle in dieser Episode bleibt immer gleich. Diese besteht für mich in der unerwartet negativen Reaktion der führenden Priester, nachdem Jesus Kranke geheilt hat! Diese Heilung ist doch etwas ganz Positives, also sollte es Beifall und Zuspruch geben. Denn Wunder erlebt man nicht alle Tage. Die Kinder zeigen spontan, offen und ehrlich ihre Begeisterung. Sie wissen nicht, dass sie „etwas Schlimmes“ getan haben. Aus Sicht der Kinder war es gewiss ein „super Tag“, besser als auf jedem Abenteuerspielplatz…

Ein Ereignis – verschiedene Perspektiven

Aus Sicht der führenden Priester, zu denen übrigens Mitglieder der Tempelpolizei, Tempelaufseher, Schatzmeister sowie weitere adelige Priester gehörten, war es kein gelungener Tag. Erst die unerwartete Heilung, die nicht in ihrer Agenda für den Tag stand, dann eine spontane Sympathiekundgebung einer ohnehin im Tempel ungern gesehenen Kinderschar, und dann bekommen sie noch von Jesus die Meinung gesagt. Dieser hält ihnen, die sie doch „die Schrift gern erfunden hätten“ auch noch eine andere Bibelstelle vor, die sie gerade ignoriert hatten. Als wenn das nicht genug wäre, verlässt Jesus auch noch demonstrativ den Tempel. Die Priester „stehen zwar nicht im Regen“, aber „souverän“ geht anders…
Dieser Text ist für mich ein Schlüsseltext der Bibel: Spontanes Leben und Loben steht über starren Traditionen. Spontaner Beifall steht über liturgisch-rituellem Lobpreis. Kindermund („…tut Wahrheit kund“) steht über festzementierten Erwachsenenmeinungen.

Mehr Leben „ohne Filter“

Wir können und sollten zwar Regeln, Verfügungen, Leitbilder, Tagesordnungen, Pläne, Exceltabellen und sonstige Vorgaben aufstellen, aber die Spontaneität muss sich dennoch stets zeigen und entfalten können. Das gelingt uns im kirchlichen Alltagsleben zwar manchmal, aber nicht immer. Wie wäre es mal mit einem spontanen Lied zwischendurch in der Presbyteriumssitzung, mit einer Unterbrechung einer klassischen Chorprobe durch einen einfachen Taizé-Rundgesang, mit einem im Gottesdienst spontan eingefügten Lied, welches nicht auf der Liedertafel steht? Jesus sagt mit seinem Hinweis auf die Säuglinge und Kinder auf zugegeben etwas provokante Weise, dass wir mehr Unbekümmertheit, mehr natürliche Lebendigkeit, mehr „ohne Filter“ brauchen. Ja – so stelle ich mir eine lebendige Kirche vor.
Übrigens – wissen Sie, wer sich dieses sicherlich ebenso vorstellt: Die Blinden und Lahmen dieses denkwürdigen Tages im Tempel. Ich war zwar nicht dabei, könnte mir aber denken, dass es für sie der schönste Tag ihres Lebens war.