Klauen als vorübergehendes Jugendproblem? Ein Kriminologe plädiert für Gelassenheit und warnt vor harten Strafen. Die zunehmende Zahl von Ladendiebstählen liegt ihm zufolge auch an einer wirtschaftlichen Entwicklung.
Der Kriminologe Dietrich Oberwittler sieht keinen Grund zur Sorge darin, wenn Jugendliche einmal klauen. “Ladendiebstahl ist ein klassisches Delikt von Jugendlichen”, sagte Oberwittler der “Süddeutschen Zeitung” (Donnerstag). Sie hätten im Vergleich zu anderen Altersgruppen die höchste Neigung zu Ladendiebstählen. “Im Laufe des Jugendalters wird fast jeder mal kriminell und begeht Straftaten.” Bei den allermeisten sei das etwas Vorübergehendes, sie wollten Dinge ausprobieren und Grenzen austesten. Die Gruppe von Intensivtätern, die sehr viele und auch viel schwerere Delikte als Ladendiebstahl begingen, sei klein, sagte der Soziologe am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht mit Sitz in Freiburg.
Abschreckung durch härtere Strafen bringe bei Jugendlichen nicht viel. “Sie haben eher negative Wirkungen, nämlich eine Verhärtung ihrer kriminellen Neigungen”, so Oberwittler. Deshalb fielen die Reaktionen der Justiz in der Regel auch sehr milde aus.
Im Jahr 2023 stieg die Zahl der Ladendiebstähle. So verzeichnete die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik 24 Prozent mehr Ladendiebstähle als im Vorjahr. Dieser Anstieg liegt laut Oberwittler nicht nur an der jungen Generation. Sie seien eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe. “Deshalb tragen eigentlich alle Altersgruppen außer den ganz Alten zur Gesamtzahl und jetzt auch zum Anstieg der Ladendiebstähle bei.”
Einen Grund für mehr Ladendiebstähle sieht Oberwittler in der höheren Inflation. Dabei spiele in Deutschland weniger eine Rolle, dass Menschen klauten, weil ihnen das Notwendigste im Leben fehle. Vielmehr erzeugten die Preisanstiege das Gefühl, dass man weniger habe als früher und als einem eigentlich zustehe. “Die Leute wollen ihren Lebensstandard halten, und wenn sie die enormen Preisanstiege der letzten Jahre sehen, dann denken manche: Das hole ich mir zurück.”