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Wie ist Braunschweig zu seinem Löwen gekommen?

In Braunschweig dreht sich alles um den Löwen. Aber wie ist die Stadt zu ihrem Wappentier gekommen? Dahinter stecken Kratzspuren am Dom, hat Marieke Lohse für unsere Sommerreihe herausgefunden.

Am Braunschweiger Burgplatz brüllt der Löwe
Am Braunschweiger Burgplatz brüllt der LöweImago / Rust

Ich habe unser Familientreffen in Braunschweig genutzt und war auf den Spuren von Heinrich dem Löwen unterwegs, der im Braunschweiger Dom sein Grab hat. Denn mit einer Geschichte wachsen alle Braunschweiger Kinder auf, verrät meine Mutter: „Dass Heinrich der Löwe einen Löwen hatte. Und als Heinrich gestorben war, war dieser Löwe unglaublich traurig und lag an seinem Grab“, so hat es mir als Kind auch meine Großmutter erzählt. Aber die Geschichte geht noch weiter: „Er hat dann vor der Tür hier am Dom gekratzt, weil er zu seinem Herrchen wollte. Und man sieht bis heute die Kratzspuren rechts und links an den Mauern neben der Tür, die von diesem Löwen stammen sollen.“

Hier auf dem Domvorplatz steht eine Statue des Löwen, der Symbol und Namensgeber für sehr vieles ist, das aus Braunschweig kommt – etwa die Löwen-Apotheke, das Basketball-Team Löwen Braunschweig, und natürlich ziert er auch das Wappen der Stadt. An einem Seiteneingang des Doms ist zu sehen, wonach ich suche. Also frage ich meinen Neffen, der neben mir steht und die Geschichte seit heute auch kennt: „Was siehst du denn hier? Guck mal hier an der Mauer.“ Er sucht einen Moment, folgt meinem Fingerzeig und entdeckt sie: „Kratzspuren. Von dem Löwen.“

Schutzherr des Doms war der heilige Blasius

Das ist die Geschichte, die erst meine Großmutter und jetzt auch noch einmal meine Mutter erzählt hat und die jedem Kind hier erzählt wird. Aber mittlerweile weiß ich, dass mir als Kind ein Märchen erzählt wurde. Wer Heinrich der Löwe wirklich war, weiß mein Vater, selbst Theologe und Kirchenexperte. „Heinrich der Löwe war Landesherr, der Begründer des Welfengeschlechts, und seine Herrschaft reichte weit hinein, vom Harz bis nach Norddeutschland, bis nach Lübeck.“ Vermutlich hatte er deswegen auch den Beinamen „der Löwe“, was zu seiner Zeit nicht unüblich war.

Hat hier wirklich ein Löwe am Braunschweiger Dom seine Kratzspuren hinterlassen? Das fragt sich Redakteurin Marieke Lohse
Hat hier wirklich ein Löwe am Braunschweiger Dom seine Kratzspuren hinterlassen? Das fragt sich Redakteurin Marieke LohsePrivat

Bekannt war der Landesherrscher im zwölften Jahrhundert für seine Eroberungsfeldzüge. Der Braunschweiger Dom ist ein gotisches Gebäude. Errichtet 1173 bis 1195 aus hellem Sandstein als dreischiffige Gewölbebasilika. Sie steht auf der Südseite des Burgplatzes und ist heute evangelisch-lutherischer Dom. Schutzherr des Doms war der heilige Blasius, dem heilende Wundertaten zugeschrieben wurden. Bis heute gilt er als Schutzpatron bei Krankheiten wie Halsschmerzen.

Abrieb hat heilende Wirkung

Und das ist auch der eigentliche Ursprung dieser Kratzspuren. Das hat mir meine Tante jetzt erzählt: „Im Mittelalter sind die Menschen hierher gepilgert und haben mit Messern und Werkzeugen Mauerwerk, also Stein, abgetragen in Pulverform, um es mit nach Hause zu nehmen.“ Sie waren davon überzeugt, dass der Abrieb dieses Mauerwerks heilende Wirkung hat. Damit nicht das ganze Mauerwerk beschädigt wird, hat man lediglich das Abkratzen an dieser einen Stelle erlaubt, und die Furchen sind über die Jahre immer tiefer geworden.

Als schönere Geschichte empfinde ich allerdings die um den Löwen, der vor Trauer um sein Herrchen an der Mauer kratzte. Der Braunschweiger Dom ist immer einen Ausflug wert, nicht weit entfernt, sodass er sich auch für einen Tagesausflug mit der Bahn anbietet. Vielleicht bei besserem Wetter als heute. Aber auf jeden Fall kennen wir jetzt alle die Geschichte vom Löwen von Heinrich dem Löwen.

Übrigens: Den Brauch, das Mauerwerk abzukratzen, weil es heilende Wirkung hat, gab es auch an anderen Kirchgebäuden im Mittelalter. An der Sippersfelder Kirche oder der Stadtkirche von Homberg.

Für unsere Sommerreihe sind wir in diesem Jahr selbst unterwegs. Zu Fuß, mit dem Rad oder auf dem Wasser suchen wir nach dem Sinn zwischen Himmel und Erde – oder nach der wirklich wahren Geschichte.