Als Meister der Bildhauerei gilt der französische Künstler Auguste Rodin. Doch die Alte Nationalgalerie in Berlin zeigt in einer Sonderausstellung nun zwei bedeutende Künstler, die die Abkehr von Rodin suchten.
Prunkvolle Teppiche liegen unter den Exponaten, samtrote Vorhänge trennen die Ausstellungsräume voneinander ab, und unzählige Pflanzen zieren den Weg durch die zweite Etage der Alten Nationalgalerie in Berlin. Das Setting, in dem sich die ausgestellten Skulpturen von Camille Claudel (1864-1943) und Bernhard Hoetger (1874-1949) wiederfinden, schafft einen atmosphärischen Eindruck, der mit den heutigen museumstypischen Sehgewohnheiten bricht.
Fast entschuldigend erklärt die stellvertretende Direktorin der Alten Nationalgalerie, Yvette Deseyve, bei der Eröffnung der Schau: “Aber so hat es hier wirklich einmal ausgesehen.” Sie muss es wissen: Die aktuelle Ausstellung “Camille Claudel und Bernhard Hoetger. Emanzipation von Rodin” hat Deseyve selbst kuratiert. Sie ist in dem Museum bis zum 28. September zu sehen.
Jenes Spiel mit den Blicken ist eine der Motivationen für die Ausstellung, wie Deseyve erklärt. Und das wird nicht nur durch den Einrichtungsstil der Ausstellung deutlich. Auch die insgesamt 67 Werke von Claudel und Hoetger werden von der Alten Nationalgalerie bewusst miteinander verbunden: “Wir wollen mit der Ausstellung ein vergleichendes Sehen fördern”, sagt Deseyve.
Die Verbindung der Werke der beiden Künstler und das vergleichende Sehen zeigen sich besonders in der Gegenüberstellung der Skulpturen “L’Abandon” (“Die Hingabe”) von Claudel und “Der Abschied” von Hoetger. Direkt nebeneinander positioniert, ist ein Unterschied in der Dynamik der Plastiken sichtbar. Hoetgers Abschiedsszene, in der sich zwei Menschen umarmen, ist geprägt von Ruhe und Standfestigkeit, während Claudel ein bewegtes, umschlungenes Abschiednehmen zweier Personen zeigt.
Die Dynamik in Claudels Skulpturen wird ebenso bei ihrem Hauptwerk “L’Âge mûr” (“Das reife Alter”) aus dem Pariser Musée d’Orsay deutlich. Die Figurengruppe stellt eine junge Frau dar, die versucht, ihren deutlich älteren Geliebten aufzuhalten. Jene Dynamiken Claudels zeigten einen Unterschied zum Stil des berühmten französischen Bildhauers Auguste Rodin, wie Deseyve beschreibt. Claudel war einst eine Schülerin Rodins und pflegte Ende des 19. Jahrhunderts eine Liebesbeziehung mit ihrem Lehrer, die aber in die Brüche ging.
Als Ausgangspunkt für die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie dient eine Begegnung von Claudel und Hoetger aus dem Jahr 1905 in Paris. Der Galerist Eugène Blot richtete der französischen Bildhauerin und dem jungen deutschen Künstler damals eine Doppelausstellung ein. Präsentiert wurden dort zwölf Bronzen Claudels und 33 Bronzeplastiken von Hoetger zusammen mit Gipsen und Zeichnungen. Bis auf wenige verschollene Arbeiten von Hoetger zeigt die Sonderausstellung nun alle der damals ausgestellten Arbeiten.
Das Treffen zwischen Claudel und Hoetger wurde laut den Initiatoren der Schau in der Kunstgeschichte bislang nur wenig beachtet und kaum erforscht. “Daher war das eine weitere Motivation für die Ausstellung hier in Berlin”, erzählt Deseyve. Die damalige Doppelausstellung in Paris war für die Wahrnehmung und Verbreitung der Werke von Claudel von großer Bedeutung, und auch Hoetger feierte dort seinen künstlerischen Durchbruch.
Durch eine Kooperation mit der Berliner Bildgießerei Noack zeigt die Ausstellung darüber hinaus eine Schritt-für-Schritt-Einführung in die damals wie heute üblichen Techniken des Bronzegusses. “Dieser Teil ist ein Fokus der Berliner Station der Sonderausstellung”, so Anette Hüsch, Direktorin der Alten Nationalgalerie. Die Ausstellung findet in Kooperation mit dem Paula-Modersohn-Becker-Museum in Bremen und dem Musée Camille Claudel in Frankreich statt.