Artikel teilen:

Sind wir laut genug?

Es ist nicht leicht, den Stimmen, die Hass und Gewalt predigen, etwas entgegenzusetzen. Aber die Adventszeit zeigt: Auch die leisen Worte sind machtvoll – nur verstummen dürfen sie nicht

Hat Gott eigentlich noch eine Chance in dieser Welt? Es können einem schon Zweifel kommen, wenn man auf die Nachrichtenlage schaut: Hass, Fanatismus und Gewalt scheinen langsam, aber sicher die Oberhand zu gewinnen. Die Stimmen der Mäßigung, der Versöhnung und Hoffnung dagegen sind auf dem Rückzug – übertönt von Sätzen, die mit „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ oder „Dazu gibt es keine Alternative“ anfangen. Was soll man auch antworten, wenn doch die Macht des Terrors so erdrückend scheint – und die der Nächstenliebe daneben so klein und hilflos?

Der Prophet Jesaja schrieb vor 2500 Jahren von einem, der sich laut gegen dieses Gefühl der Ohnmacht auflehnte: „Tröstet, tröstet mein Volk“, ruft er trotzig mitten hinein in Unterdrückung und Resignation; „bereitet dem Herrn den Weg, denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden“.
Dieser Rufer in der Wüste ist sprichwörtlich geworden – als einer, der mit seinen Mahnungen auf verlorenem Posten steht. Ein ähnliches Gefühl der Vergeblichkeit kennen inzwischen viele, die sich für den Frieden einsetzen. Es scheint nichts zu nutzen, egal, wie laut sie ihre Stimme erheben. Die Terroristen hören nicht auf zu töten, die Angst vor dem Fremden wächst, Deutschland führt ganz offiziell wieder Krieg. Hat Gott also noch eine Chance?
Vielleicht gibt die Adventszeit eine Antwort auf diese Frage: In der scheinbar übermächtigen Dunkelheit der Welt scheint ein Licht auf. Gott kommt mitten unter die Menschen – nicht in Glanz und Gloria, sondern im Stillen, Verborgenen, als ein kleines Kind; verkündigt nicht mit Geschrei und Fanfarenstößen, sondern mit dem Singen der Engel auf dem Feld.
Ein leises Geschehen, das auf den ersten Blick nichts verändert. Und doch ist die Verheißung groß: Frieden auf Erden, und das Reich Gottes mitten unter uns. Ein Versprechen, das nicht von Menschen erfüllt wird, sondern von Gott – und das darum auch nicht von menschlichem Geschrei zunichte gemacht werden kann.
Trotzdem müssen wir uns die Frage stellen: Sind wir laut genug als Gottes Botschafterinnen und Botschafter? Trauen wir uns zu widersprechen, wenn die Rede ist von Flüchtlingslawine und Sozialschmarotzern, von Überfremdung und Islamisierung? Auch wenn es dann ungemütlich wird? Wenn wir nach Worten ringen und uns als naiv verhöhnen oder als Gutmenschen beschimpfen lassen müssen?
Es ist nicht leicht, aber es gibt keine Alternative: Die Stimme der Versöhnung und der Nächstenliebe darf nicht verstummen. Dafür sind wir Christinnen und Christen verantwortlich. Zum Glück dürfen wir uns sagen lassen: Auch die leisen Töne haben ihren Wert. „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“, heißt es in einem der Gottesknechtslieder des Propheten Jesaja, das die Christen später auf Jesus bezogen haben. Und einige Verse weiter: „In Treue trägt er das Recht hinaus“. Diese Treue ist es, die von uns erwartet wird – als Rufende und Tröstende und Hoffende.