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Sie haben den Dreh raus

In der Kleinstadt Waldkirch im Südwesten Deutschlands werden gleich in fünf Werkstätten Orgeln gebaut: Drehorgeln wie Kirchenorgeln. Seit 1799 werden hier Orgeln gebaut. Geliefert werden sie in alle Welt

Am Ortseingang wird der Besucher von zwei riesigen Orgelwalzen (aus Granit) begrüßt, den weltweit größten. „Waldkirch ist die Stadt in Deutschland mit der höchsten Orgeldichte“, erklärt Bernd Wintermantel. Kein Wunder, wenn man weiß, dass in der 20 000 Einwohner zählenden Kleinstadt unweit von Freiburg im Breisgau in fünf Werkstätten Orgeln gebaut werden – und zwar Kirchen- wie Drehorgeln. Darüber hinaus gibt es ein Planungsbüro für den Kirchenorgelbau, Vereine, Förderkreise und ein Museum. In diesem Monat soll dem Orgelbau in Deutschland von der Unesco der Titel eines immateriellen Weltkulturerbes zugesprochen werden. „Deutschland ist das Land der Orgeln“, erklärt Wolfgang Brommer. „Hier gibt es weltweit die meisten.“ Es sei ein typisch deutsches Kulturgut.
Die beiden Herren sind Protagonisten der Waldkircher Orgelszene. Der eine ist Chef der weltweit agierenden Orgelbaufirma Brommer & Jäger, der andere Vorsitzender der Orgel-Stiftung. „Die hat dieselben Aufgaben wie ein Museum, Bewahren, Vermitteln und Forschen“, erklärt Wintermantel. „Wir wollen Geschichte und Bedeutung der Orgel auf eine breitere Basis stellen.“ Es werden alte Instrumente gesammelt und Führungen und Vorträge angeboten. Ganz aktuell ist die Initiative „Deutsche Orgelstraße“. Auf der Homepage (https://www.deutsche-orgelstrasse.de/)  kann man sich durch die Republik klicken, zu Orgeln und Handwerkern, zu Museen und Konzerten. „Die Orgelstraße ist nicht theologisch ausgerichtet“, betont Mitinitiator Brommer. Im Mittelpunkt stehe die Orgel.
Die Waldkircher Orgelbautradition reicht bis ins Jahr 1799 zurück. Seinerzeit verlegte Mathias Martin seinen Betrieb nach Waldkirch. Einem seiner Mitarbeiter, Ignaz Blasius Bruder, blieb es aber vorbehalten, für den Aufschwung zu sorgen. Der Autodidakt spezia­lisierte sich auf den Bau mechanischer Musikinstrumente, vor allem Drehorgeln, und schuf mit seinen fünf Söhnen das erste Zentrum für deren Herstellung.  In der Folge exportierte der kleine Ort in die große, weite Welt, bis die Konkurrenz durch Rundfunk und Schallplatte 1937 zur Schließung auch der letzten Werkstatt für Drehorgeln führte. Zunächst.
Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wird ein Neuanfang gewagt, der in den späten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts gleich mehrere Nachahmer findet, darunter Wolfram Stützle. „Hier hat schon mein Urgroßvater, Anton Kiene, Kirchenorgeln gebaut“, sagt Stützle. Auch er baue nur diese Form der Orgel. Und, ja, es gebe tatsächlich Neubestellungen. „Mein nächster Neubau ist eine so genannte Üb-Orgel, ein etwas kleineres Modell.“ Die meisten Aufträge sind jedoch Restaurierungen. Auch durch die aktuellen Kirchenschließungen und die damit verbundenen Orgel-Umsetzungen würde häufig Arbeit anfallen – „fast wie nach der Säkularisation“, so der Orgelbauer. Tropenhölzer würden, anders als früher, heute nicht mehr eingesetzt. Und bei der Tastaturbelegung werde Buchsbaum statt Elfenbein verwendet.
„Eine besondere Herausforderung ist die Nachfertigung von Teilen, die es nicht mehr gibt“, ergänzt Achim Schneider. Der Orgelbauer, der sein Handwerk bei Jäger & Brommer gelernt hat, schätzt die Vielseitigkeit seines fast nur aus Handarbeit bestehenden Berufs. „Kein Mensch kann ein komplettes Handy bauen, ich aber eine Drehorgel“, freut sich der Waldkircher. Dafür brauche er rund 500 Stunden. In England diente die Drehorgel trotz ihrer nur 20 Tonstufen sogar als Kircheninstrument, weiß er.
Was die Orgelbauer von Waldkirch antreibt, dazu sagt Brommer: „Wir arbeiten dafür, dass die Tradition weiterlebt. Die Orgel ist nicht verstaubt oder von gestern, wie viele meinen, sie ist vielmehr das Instrument mit dem längsten Atem.“