Die Zukunft bietet unendlich viele Möglichkeiten. Den Kopf in den Sand zu stecken gehört nicht dazu. Das sagt Politikwissenschaftlerin Florence Gaub, die jetzt eine “Bedienungsanleitung” geschrieben hat.
Was passiert in meinem Leben – heute Abend? Morgen früh? In einem Jahr? In zehn Jahren? Während jeder Mensch ständig die nahe Zukunft organisiert – Nahrungsaufnahme, Bürotermine, Freizeit – wird sie eher vernachlässigt, je weiter sie entfernt ist. Vielen macht die Ungewissheit Angst: Krankheit, Krieg, Naturkatastrophen, Terroranschlag – in einem Leben kann viel geschehen.
“Bei einer Überdosis Angst sind wir nicht in der Lage, klar zu denken, eine kreative Lösung zu finden, wichtige Erinnerungen abzurufen – wie: Wo ist der Feuerlöscher? – oder Objektivität und Perspektive zu bewahren”, sagt Politikwissenschaftlerin Florence Gaub, die jetzt das Buch “Zukunft. Eine Bedienungsanleitung” veröffentlicht hat. Die Folge: Wir nehmen “quasi die Hände vom Steuer, das die Zukunft ist: Wir hören auf, sie uns vorzustellen und zu beeinflussen.”
Auf rund 220 Seiten – Selbsttests inklusive – erklärt die Militärstrategin, die den Forschungsbereich Zukunft am NATO Defense College in Rom leitet, wie die Menschen ihre Zukunft trotz dieser Ängste in die Hand nehmen könnten – und empfiehlt dies auch nachdrücklich. Es sei erwiesen, dass Menschen, die länger in die Zukunft denken, gesünder seien, länger lebten und ihre Ziele im Allgemeinen erreichten.
Damit gebe sie “kein Versprechen, dass die Zukunft rosig, sondern dass sie immer ein Möglichkeitsraum sein wird”, so Gaub. “Fakt ist nämlich, dass wir eben nicht in einer so noch nie dagewesenen beängstigenden und unvorhersehbaren Welt leben, auch wenn man das überall hört. Wir leben in einer sehr privilegierten Zeit, in der man mit der Garantie auf ein hohes Alter zur Welt kommt und sehr große Gestaltungsfreiheit hat, sein Leben so zu leben, wie man es will.”
Die meisten Menschen schöpften diese Fähigkeit jedoch nur selten voll aus. Laut Neurowissenschaften verbringt der Mensch zwar die Hälfte seiner wachen Stunden damit, über die Zukunft nachzudenken. Den größten Teil verschwende er aber für eher banale Fragen.
80 Prozent des deutschen Zukunftsdenkens gilt demnach der alltäglichen Zukunft – etwa wann die Arbeit beginnt oder wann die Prüfungen der Kinder anstehen. An weit abgeschlagener zweiter Stelle folgt mit 14 Prozent die Zukunft des kommenden Jahres: Ferien, Projekte, Arztbesuche. Lediglich sechs Prozent betreffen die nächsten zehn bis 15 Jahre, wie Heiraten, ein Hausbau oder Karriereziele. Die noch weiter entferntere Zukunft werde nur selten mental besucht.
Dabei seien sie alle miteinander verbunden, “stecken ineinander wie Legosteine”, sagt Gaub. Zukünfte entstehen demnach in den Köpfen der Menschen auf ziemlich ähnliche Weise: Elemente der Vergangenheit, Informationen der Gegenwart und Vorstellungskraft werden gemischt, um daraus etwas ganz Neues zu machen.
Jeder Mensch sei daher zu Gedanken über alle vier Zukunftsformen fähig, aber die meisten vernachlässigten zwei, oft sogar drei davon. “Sie sind damit nicht die willentlichen Zukunftsproduzenten, die sie sein könnten, sondern Konsumenten der Zukünfte anderer”, kritisiert die Forscherin, die Regierungen strategisch berät.
Negatives Zukunftsdenken sei indes ein sehr westliches Phänomen. “In weiten Teilen der Welt sind die Menschen grundsätzlich optimistisch, dass es ihren Kindern besser gehen wird als ihnen, und dass sich ihr Land in die richtige Richtung entwickelt. Besonders hoch sind diese Zahlen bei jüngeren Frauen und Männer”, so Gaub.
Sie empfiehlt, sich grundsätzlich mehr Zeit für die Zukunft zu nehmen. Für Einzelpersonen eigneten sich symbolische Momente wie Neujahr, Geburtstage oder Jahrestage. Aber auch Unternehmen, Parteien, Schulen und Zivilverbände sollten sich einmal im Jahr Zeit nehmen für die Zukunft.
“Alle von uns haben die Fähigkeit, die Zukunft zu denken”, so Gaub. Wer darin besonders gut werden wolle, sollte vor allem seinen Geist schärfen, nie aufgeben, gerne nachdenken, Fehler tolerieren, verschiedene Erfahrungen sammeln, viel lesen, sich selbst als ein kreatives Wesen begreifen, Risiken eingehen – und nicht zuletzt: “Wir sollten Veränderungen als normalen Teil des Lebens begreifen”, sagt die Wissenschaftlerin. Überraschungen halte die Zukunft immer bereit.