UNNA – Der ländliche Raum – dazu zählen in Westfalen so unterschiedliche Gebiete wie das Wittgensteiner Land, das Sauer- und Siegerland, das Münsterland oder Ostwestfalen. Zum ländlichen Raum zählt sich auch das Dörfchen Lünern, nur wenige Kilometer von Unna entfernt, wo der zweite Werkstatt-Tag „Kirche im ländlichen Raum“ unter der Leitung von Volker Rotthauwe, Pfarrer für Nachhaltige Entwicklung im Institut für Kirche und Gesellschaft stattfand. Eingeladen hatte das gleichnamige Netzwerk.
Bei aller Verschiedenheit haben diese Gegenden mit ähnlichen Problemen zu kämpfen: Sie verlieren Einwohner, und in Folge dessen auch wichtige Infrastruktur: Post und Sparkasse werden in größeren Orten konzentriert, Bäcker und Schlachter schließen, Arztpraxen finden keinen Nachfolger. Industrieunternehmen haben Mühe, qualifiziertes Personal anzulocken. Nicht selten ist tatsächlich die Kirche das Letzte, was buchstäblich noch im Dorf bleibt – aber auch sie muss den Rückgang von Gemeindegliedern, Mitarbeitenden und Finanzmitteln verkraften. Die, die bleiben, geraten dabei häufig an die Grenzen ihrer Belastbarkeit.
Jürgen Schilling, EKD-Beauftragter für die „Kirche in der Fläche“, sieht im Prozess des Kleinerwerdens aber auch Chancen. Die Kirche habe den Auftrag, die Botschaft „an alles Volk“ zu verkündigen, betonte der Theologe – auch dort, wo die Bevölkerungszahlen schrumpfen und Strukturen abgebaut werden. „Es geht um mehr als Strukturen – nämlich um die Frage: Was hat Gott mit uns vor, hier und jetzt?“, so Schilling.
Möglichkeiten, als Kirche für den Sozialraum Verantwortung zu übernehmen, sieht der EKD-Beauftragte in Kooperationen mit anderen Gruppen vor Ort: So sei eine Zusammenarbeit der Gemeinde etwa mit der örtlichen Musikschule genauso denkbar wie mit Vereinen oder Tourismus-Veranstaltern. „Nutzen Sie das, was zufällig gegeben ist“, riet Schilling.
Zusätzlich sei es wichtig, das Kirchturmdenken zu überwinden und stärker auf Teams zu setzen – allerdings mit klar verteilten Aufgaben zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. In einigen Landeskirchen übernehmen inzwischen Gemeindekuratoren die Verwaltungsaufgaben, um Pfarrerinnen und Pfarrer zu entlasten. Ganz wichtig in Schillings Augen: eine Leitung, die die Verantwortung für ungeliebte Entscheidungen übernehmen müsse. Dort, wo Bestehendes nicht mehr zu halten sei, müsse auch das offen benannt werden.
Gleichzeitig warb Schilling für eine Doppelbewegung: „Wir können nicht nur abbauen“, sagte der Theologe. Zwei seiner Ratschläge lauten daher: „Lassen Sie verrückte Ideen zu“ und „Gönnen Sie sich Spielwiesen“. Ideen wie Radkirchen an Radwanderwegen, ein Kletterpark im Pfarrgarten oder auch die Zusammenarbeit mit einem Lokalhistoriker könnten in der Gemeinde zu neuem Selbstbewusstsein und Aufbruchstimmung führen. „Es muss auch das Wunderbare geben. Ohne hat es die Kirche schwer“, sagte Schilling.
Allerdings, so gab Schilling auf Nachfrage auch zu: Häufig würden die Menschen vor Ort erst dann aktiv, wenn die Not bereits groß sei – dann aber nicht selten mit überraschendem Erfolg. Darum: „Seien Sie stolz auf die Kirche auf dem Land!“, gab der Theologe den Anwesenden mit.
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Seien Sie stolz!
In ländlichen Gegenden steht die Kirche zwar noch mitten im Dorf, hat aber auch mit dem Kleinerwerden zu kämpfen. Ein Werkstatt-Tag fragte danach, wie das gelingen kann
