Dokumentarfilm von 2023 über die vier ostdeutschen (Ex-)Politikerinnen Anke Domscheit-Berg, Yvonne Magwas, Frauke Petry und Manuela Schwesig. Mit sehenswerten Einblicken – gerade vor den anstehenden Wahlen.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Sehenswerter Dokumentarfilm von 2023 über vier Frauen in leitenden Funktionen, in der Politik wie in der Wirtschaft. Für Anke Domscheit-Berg, Yvonne Magwas, Frauke Petry und Manuela Schwesig war es normal, berufstätige Mütter zu haben, da sie alle in der DDR groß geworden sind. In einer Zeit, in der sich viele Frauen in Westdeutschland “nur” um ihre Kinder kümmerten.
Der Mauerfall und die Zeit danach gingen aber auch an ihren jeweiligen Familien nicht spurlos vorbei: Zusammenbruch, Entwurzelung, Neuorientierung. Die widersprüchlichen Erfahrungen beeinflussen ihr Handeln bis heute. Wie ihre Mütter sind sie berufstätig und haben Kinder. Ihre politischen Überzeugungen sind sehr verschieden, doch die Herausforderungen ihres Alltags ähneln sich: Frauenquote, #MeToo, Kinderbetreuung, Macht und Ohnmacht. Der Film begleitet sie drei Jahre lang, in den Räumen der Parteien, im Wahlkampf und zuhause.
Mit einer visuell strengen Montage aus neutralen Interviewsituationen, Alltagsszenen und persönlichen Momenten entwirft die Dokumentaristin Sabine Michel vielschichtige Porträts der vier ostdeutschen Promi-Frauen. Ebenso klare wie sensible (Nach-)Fragen wahren die Balance aus Nähe und Distanz und ermöglichen ungewohnte Einblicke in teils extrem gegensätzliche geistige und politische Landschaften. Allerdings entsteht einzig auf der Ebene der Montage so etwas wie ein implizites Gespräch.
Anke Domscheit-Berg steigt durch ein Treppenhaus voller Graffiti, “FCKNZS” steht an einer Wand; oben angekommen, schaut sie aufs brandenburgische Fürstenberg hinunter. Manuela Schwesig lässt sich auf einem Leuchtturm auf Hiddensee die Meeresbrise um die Nase wehen. Yvonne Magwas steht vor einer von Fichten umsäumten Talsperre, wo sie schon als Baby im Kinderwagen herumgefahren wurde. Und Frauke Petry wirft in Delitzsch stumm die Angel aus.
“Frauen in Landschaften”: So simpel und neutral nennt die Dokumentarfilmerin Sabine Michel ihr Vierfachporträt von Anke Domscheit-Berg (Die Linke), Yvonne Magwas (CDU), der Ex-AfD-Politikerin Frauke Petry und Manuela Schwesig (SPD). So einfach und malerisch der Titel, so politisch ausbalanciert die Auswahl der Gesprächspartnerinnen, so komplex und differenziert wird das Ganze.
Natürlich haben die vier manches gemeinsam, sind Frau, ostdeutsch, haben Kinder und arbeiten. Wie so oft bei identitätspolitischen Ansätzen stellt sich aber die Frage: Worin genau könnte der Erkenntnisgewinn liegen, diese vier durch ihren Arbeitsalltag zu begleiten? Was bringt es zu erfahren, ob sie in ihrer Jugend Pionierinnen waren und was sie einmal werden wollten?
Wenn Michel anfangs Fotos von den niedlichen Kindern und kecken Teenagern zeigt, die diese Frauen einst waren, vor noch gar nicht allzu langer Zeit, irgendwann in den 1980er-, 1990er-Jahren, versucht man beim Zuschauen abzugleichen, ob in diesen Gesichtern schon etwas zu erkennen ist von Kampfgeist, Trotz, Zorn, Mut, Ausdauer. Was ist daraus geworden? Mehr? Weniger? Anderes? Schwesig hat den Fall der Mauer anders erlebt als Petry, deren Familie schon vorher in den Westen gezogen war. Schwesigs Vater wurde arbeitslos, Magwas’ Vater hingegen hatte eher die Qual der Wahl zwischen lukrativen Jobangeboten in leitender Position.
Je mehr die Frauen von sich und ihrem politischen Werdegang erzählen, von ihren Motivationen und Überzeugungen, desto mehr wird offenbar, dass man es mit vier teils sehr unterschiedlichen Welten zu tun hat. Statt erneut den Diskurs “Wie behauptet sich eine Frau in einer Männerdomäne?” anzustrengen, nimmt sich der Film die Zeit, politischem Denken zuzusehen. Befreit vom Druck, der kurzatmigen Tagespresse Statements liefern zu müssen, ermöglichen die Gespräche Einblicke in das Weltbild von Menschen, deren Utopien und persönliche Prägungen auf die tägliche Kärrnerarbeit treffen, die Politik als Beruf bedeutet, für Männer zwar auch, für Frauen aber erst recht.
Während die konservative Magwas auf ihre eigene Mutter zählen kann, was die Kinderbetreuung angeht, und für mehr Frauen auch in der Kommunalpolitik kämpft, hält Petry die Gleichstellung für einen “riesigen politischen Fehler”. Der Markt regelt eben alles, davon ist sie offenbar überzeugt. Nach dem Ende ihrer Politkarriere räumt die sechsfache Mutter ihr Büro, wird erstmals Hausfrau, schreibt Bewerbungen und sagt betont ungerührt: “Ich werde die nächsten Monate damit verbringen, einfach weiter auszuloten, ob es am Markt einen Platz für mich gibt”.
Sabine Michel beschäftigte sich in den letzten Jahren wiederholt mit der Wiedervereinigung aus weiblicher Perspektive. Die autobiografische Arbeit “Zonenmädchen” (2013) handelte von ihr und ihren Freundinnen, in “Montags in Dresden” (2017) beobachtete sie die Pegida-Bewegung. Mit “Frauen in Landschaften” vervollständigt sie ihre “Ost-Triologie”, wie sie sie nennt. Dazwischen drehte Michel “Wendeman(n)över – Frauen und die Wiedervereinigung” (2021). Dabei gelingen ihr immer wieder unaufgeregte Fremd- und Selbstverortungen.
In “Frauen in Landschaften” wählt sie ein elegantes, ästhetisch strenges Konzept: Sie setzt die vier Interviewpartnerinnen nacheinander auf einen Stuhl vor unverputzter Wand; den Boden bedecken zerknüllte Zeitungsseiten. Hier finden die Gespräche hauptsächlich statt; diese bilden den hochkonzentrierten Kern des Films. Daneben gibt es Szenen auf den Fluren, Konferenzräumen und Büros des Reichstags in Berlin, Wahlkampfveranstaltungen in Fußgängerzonen mit fuchtelnden Bürgern, Stille. Wasservögel. Ackerland.
Michel bewahrt dabei die Balance aus Nähe und Distanz. Nur hin und wieder vernimmt man ihr tastendes, offenes, nie investigativ-lauerndes, aber vor allem bei Petry auch kritisches Nachfragen. Selbst wenn bei ihrem Gegenüber auch mal Tränen fließen: Das Gefühl dominiert nie den Gedanken, das vermeintlich schon Gewusste nie das Beobachtete. In seiner visuellen Klarheit und durch den Verzicht auf einen Off-Kommentar ist “Frauen in Landschaften” durchaus mit Torsten Körners Politikerinnen-Porträt “Die Unbeugsamen” (2020) vergleichbar, auch wenn der Aspekt einer männerdominierten Mediengeschichte hier fehlt.
Eine der klügsten dramaturgischen Entscheidungen besteht darin, die vier nicht gemeinsam auftreten zu lassen; stattdessen entsteht einzig auf der Ebene der Montage so etwas wie ein implizites Gespräch. Widersprüche dürfen unaufgelöst nebeneinander stehen bleiben, als intellektuelle Herausforderung statt als affektive. Niemand gerät wie in Talkshows unter Zugzwang oder muss sich rechtfertigen. Die (Ex-)Politikerinnen sprechen auf eine Weise, der anzumerken ist, dass sie natürlich Profis sind, aber auch mit zuhörender Akzeptanz rechnen.
So gibt es auch Momente, in denen die Porträtierten ihre eigenen Grenzen offenbaren, sei es reflektiert wie bei Domscheit-Berg, oder eher überwältigt wie bei Magwas. Wenn diese auf einem Marktplatz im Vogtland einem pampigen, an keinem Gespräch interessierten, aggressiv vor sich hin fuchtelnden älteren Mann hinterherknurrt: “Das wissen wir ja schon, dass Sie AfD wählen”, werden die Kommunikationsberaterinnen den Kopf schütteln. Aber Magwas Genervtheit ist eben noch nicht weggecoacht.
Nicht zuletzt durch die Bildgestaltung von Uwe Mann wird “Frauen in Landschaften” zu einem fein nuancierten Porträt von Menschen, die sich mühen und die wissen, dass auch sie irgendwann müde werden. Der Film diffamiert niemanden (nicht einmal Petry, die ihre Widersprüchlichkeit schon selbst entfaltet), sondern zeigt anrührende Momente des Bei-sich-Seins: Die Digitalexpertin Domscheit-Berg sitzt zum Beispiel am Spinnrad, um nicht durchzudrehen, und Schwesig erzählt, dass sie während ihrer Krebsbehandlung in der Pandemie-Zeit ausgerechnet bei den zehnminütigen Bestrahlungen zur Ruhe kam. An der Decke dieses abgeriegelten Raums hing ein Bild des Leuchtturms von Warnemünde. Dorthin habe sie gewollt, und diese Aussicht habe sie getragen.