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Schurke oder Genie?

Der Ablassprediger Johann Tetzel gilt zumindest unter Protestanten als der personifizierte Widerpart Martin Luthers. Eine Neuerscheinung zeichnet jetzt ein anderes Bild

Wer war Johann Tetzel? Eine Antwort auf diese Frage erscheint nicht schwer. Tetzel war Dominikanermönch und Ablassprediger im 16. Jahrhundert. Er soll es so doll getrieben haben, dass sich Martin Luther mit 95 Thesen an die Öffentlichkeit wandte, um diesem unverschämten Treiben ein Ende zu setzen. Die bekannte Tetzel-Darstellung eines fetten Mönches bestätigt nur dieses Urteil.
Dichtung oder Wahrheit? Tetzel war mehr als nur die Negativfolie, von der sich die Lichtgestalt des Reformators um so heller abheben konnte. Der (protestantische) Kirchenhistoriker Hartmut Kühne kann nachweisen, wie der nach seinem Tod 1519 völlig in Vergessenheit geratene Dominikaner erst Jahrzehnte später einen schlechten Ruf erhielt und tatsächlich dann im Zusammenhang mit dem ersten Reformationsjubiläum eine späte Karriere als Bad Boy der Reformation machte, der geldgierig und lüstern die Menschen betrogen hat.

Von den Gegnern als feister Mönch dargestellt

Auch weiß niemand, wie der Mönch wirklich ausgesehen hat, weil nämlich das Bild von Tetzel nicht zeitgenössisch ist, sondern eine spätere Projektion. Das ist nur ein Ergebnis des gerade veröffentlichten Buchs „Johann Tetzel und der Ablass“. Das Werk, herausgegeben von Enno Bünz, Hartmut Kühne und Peter Wiegand, zeichnet auf der Basis intensiver Quellenstudien ein neues Bild des Ablasspredigers. Es dient zugleich als Begleitband zur Ausstellung „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“, die bis zum 26. November im Mönchenkloster und der Nikolaikirche Jüterbog gezeigt wird.
An diesem Ort nämlich predigte Tetzel erfolgreich den Ablass. Besonders gerne kamen die Men-schen aus dem benachbarten Wittenberg, weil bei ihnen der Petersablass nicht zugelassen war. Heute noch kann man in Jüterbog den Tetzelkasten besichtigen, wo der Legende nach die Menschen das Geld für die ewige Seligkeit deponierten.
Peter Wiegand vom sächsischen Hauptstaatsarchiv in Dresden charakterisiert Tetzel als eine Ausnahmeerscheinung unter den vielen Ablasskommissaren, der sich durch seine ebenso effiziente wie profitorientierte Art der Gnadenverkündigung auszeichnete. Schließlich verfügte der Dominikaner über eine lange Erfahrung in dem Metier, eine profunde wissenschaftliche Ausbildung, ein stabiles Netzwerk an Kontakten und ein hohes Ansehen.
Von daher war er als theologischer Gutachter in Sachen Ablass gefragt. Herzog Georg von Sachsen zog ihn zu den Beratungen hinzu, als er für die noch junge Bergbaustadt Annaberg einen besonderen Ablass in Rom einholen wollte, der das seelsorgerische Angebot dort abrunden sollte – und helfen, den Bau der Kirche zu finanzieren. Tetzel war stolz auf seinen guten Ruf als Ablassprediger, den er nach eigener Aussage nicht nur im Deutschen Reich, sondern auch in Böhmen und Mähren ge-noss. Deswegen neigte er zu heftigen, vielleicht sogar überzogenen Reaktionen, wenn er diesen gefährdet sah.

Ein Vorgänger des modernen Fundraisings

Der Supergau kam Ende 1517, nachdem der Wittenberger Mönch und Theologieprofessor Martin Luther seinen Unwillen über den Ablass im Allgemeinen und über die Verkündigung des Petersab-lasses im Besonderen kundtat.
War Tetzel ein zufälliger Kollateralschaden oder traf Luther mit ihm einen herausragenden Repräsentanten des Ablasswesens? Das wird noch diskutiert. 1518 war je-denfalls Tetzels annus horribilis. Am Ende des Jahres teilte er dem päpstlichen Gesandten mit, er sei das Opfer ungerechtfertigter Angriffe, fühlte sich seines Lebens nicht mehr sicher und habe Angst, seinerseits als Ketzer verfolgt zu werden.
Tetzel starb am 11. August 1519 als gebrochener Mann. Seine enorm erfolgreiche Karriere als Bad Boy der Reformationsgeschichte war damals noch nicht abzusehen. Ob sie auf Dauer ein Ende findet? Die Autoren dieses Bandes haben daran gearbeitet. Jetzt muss das Wissen nur noch in das allgemeine Bewusstsein übergehen.