Vieles ist anders im hohen Norden des United Kingdom. Schließlich befinden wir uns in Schottland und nicht in England, wenn wir in Glasgow oder Edinburgh unterwegs sind. In Schottland sind die Anglikaner eine Minderheit. Die große Mehrheit der Schotten gehört zur Church of Scotland. Aber ist das heute eigentlich immer noch so?
Säkularisierung und radikaler Mitgliederschwund kennzeichnen diese traditionsbewusste Kirche. Über viele Jahrhunderte war die Church of Scotland neben dem Staat die dominierende und sinnstiftende Nationalkirche Schottlands. Heute ist sie mit etwa 600 000 Mitgliedern nur noch eine Kirche neben anderen. Auf dem Land können viele Kirchen gar nicht mehr unterhalten werden. Pfarrermangel ist alltäglich. Krisenhaftes Schrumpfen und gesellschaftlicher Bedeutungsverlust heißen daher die aktuellen Herausforderungen.
Der rapide Verlust von Mitgliedern, Finanzen und Pfarrern zwingt die Church of Scotland, sich auf neue Wege zu begeben. In Glasgow und Dundee tut sie das mit einem eigens eingerichteten Team an Mitarbeitern, die sich in den ärmeren Stadtteilen für Menschen engagieren, die benachteiligt oder wegen Arbeitslosigkeit ohne Perspektive sind. Oft sind das gerade junge Menschen.
Die Mitarbeitenden des Teams ermutigen die Gemeinden, die besonderen Bedürfnisse der Menschen in ihrem Umfeld in den Blick zu nehmen. Neue Kirchgebäude sind dort eher Zentren mit einem Bürgercafé und einem Versammlungsraum, der am Sonntag auch als Kirchraum genutzt werden kann. Statt sonntäglicher Gottesdienstangebote, zu denen keiner mehr kommt, wird nach den Bedürfnissen der Menschen gefragt. Passt dort dann eher ein geistliches Angebot in der Woche, kann der Sonntagsgottesdienst auch schon einmal ausfallen oder er wird zum Abendgottesdienst umgestaltet. Dazu gehört auch die Erprobung neuer Liturgien und Gesänge. Verstehen die Menschen die traditionelle gottesdienstliche Sprache nicht mehr, muss ein neues Vokabular gefunden werden.
Raum für Experimente entsteht vor allem in den Gemeinden, die keinen neuen Pfarrer mehr auf Dauer bekommen, sondern nur noch für zwei bis fünf Jahre: Dessen Hauptaufgabe ist es, den Übergang zu einem neuen Gemeindekonzept zu organisieren. Das geht nicht konfliktfrei, denn auch in den Gemeinden der Church of Scotland war das Recht, seinen eigenen Pfarrer zu wählen, das höchste Gut der einzelnen Kirchengemeinde. Doch was nützt dieses Recht, wenn es nicht genügend Pfarrerinnen und Pfarrer gibt, junge Menschen kaum noch Theologie studieren und viele Gemeinden eine Pfarrstelle nicht mehr bezahlen können.
Auf der anderen Seite will die Church of Scotland im modernen Leben präsent sein und schickt ihre Mitarbeiter in die Fußgängerzone und in die Software-Firmen in der Glasgower Innenstadt. Dazu gehört beispielsweise die Organisation „Pfarrstelle am Arbeitsplatz“. Ein Team von Pfarrern und Diakonen betreut Angestellte von Versicherungen und IT-Firmen dort, wo sie arbeiten. Im Gegenzug spenden die Firmen beträchtliche Summen an Geld an diese Organisation, in der die Church of Scotland nur noch ein Mitglied unter verschiedenen Trägern ist.
Damit kein falsches Bild entsteht: Es gibt nach wie vor die ganz normalen, traditionellen Gemeinden und Kirchenkreisen. Daneben entwickeln sich aber neue Formen kirchlicher Arbeit, die möglicherweise in Zukunft das Bild der bisherigen Kirche radikal verändern werden. Spannende Aussichten für eine Kirche im Wandel.