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Schlafen unter freiem Himmel

Olaf und Beate Hofmann schlafen gerne mal eine Nacht draußen. Die Nähe zur Schöpfung tut ihnen gut. Das Paar macht Mut: „Wenigstens einmal im Monat eine kleine Verrücktheit“

Um Abenteuer zu erleben, muss man keine Himalaya-Expedition machen oder eine Wüste durchqueren. Abenteuer kann man auch gleich vor der Haustür erleben – etwa beim Schlafen unter freiem Himmel. Der Biesinger Diakon und Wildnisliebhaber Olaf Hofmann hat über seine Erlebnisse gemeinsam mit seiner Frau ein Buch geschrieben. Im Interview mit Angelika Prauß macht er Lust auf eine Nacht unter Sternen.

• Herr Hofmann, was macht den Reiz des Draußenschlafens aus?
Wir sind uns im Alltag gar nicht mehr bewusst, in welchem Luxus wir leben – beim Übernachten draußen erleben wir eine Reduzierung auf das Wesentliche. Es wird sozusagen eine Fallhöhe geschaffen: Man lebt mit ganz einfachen Mitteln. Und wenn man nach einer kalten Nacht das Feuer entfacht, um ein warmes Getränk zu kochen, hat das eine ganz andere Qualität, als wenn ich aus dem Bett aufstehe, zu meinem Kaffeeautomaten schlurfe und auf die Taste drücke. Auch kann ich die warme Dusche wieder anders genießen, wenn ich vorher morgens in den kalten Bach gesprungen bin.

• Warum tut uns so ein Naturerleben gut?
Die Seele entspannt und kann wieder durchatmen. Für mich ist das Rausgehen und Draußenschlafen wie ein Scheibenwischer für die Seele. Menschen, die Liebeskummer haben oder vor wichtigen Lebensentscheidungen stehen, sind aus meiner Sicht im Stadtpark oder Wald manchmal besser aufgehoben als bei einem Psychologen.

• Sehen Sie auch eine spirituelle Dimension, wenn man draußen übernachtet?
Auf jeden Fall. Man ist in der Schöpfung eingebettet. Wenn man in einer klaren Nacht auf der Wiese liegt und den Sternenhimmel über sich sieht und diese Dimension von Unendlichkeit spürt, dann ist das schon faszinierend. Da wird das Ego ganz klein, und man merkt, dass man leben darf – und das ist ein riesengroßes Geschenk. Man spürt eine tiefe Ehrfurcht vor dem Leben. Man kann zwar vieles aus Fachbüchern erfahren, aber sie vermitteln nur eine Information für den Kopf. In der Natur geht es um intensive Gefühle. Deshalb lohnt es sich rauszugehen, um Emotionen und schöne Erinnerungen zu sammeln. Wenn ich draußen schlafe, gebe ich mich in Gottes Hand und muss mich in diesem Moment der Natur anvertrauen.

• Die scheint aber vielen Menschen inzwischen sehr fremd zu sein…
Das Leben in der Natur gehört zu unserer Menschheitsgeschichte – nur kennen wir es nicht mehr. Deshalb ist uns die Natur fremd, und wir denken, dadurch ist sie auch gefährlich. Das ist eine Kopfgeschichte, das erleben wir derzeit auch bei der übertriebenen Angst vor Wölfen. Für mich bedeutet das Draußenschlafen Lebensqualität. Ich mache mich wieder mit der Natur vertraut und merke: Hier darf ich sein – und so gefährlich ist sie gar nicht.

• Warum machen wir das nicht öfter?
Weil uns das durchgetaktete, schnelle Leben fest im Griff hat. Wir meinen, für so etwas Unnützes keine Zeit zu haben. Dabei ist es gerade umgekehrt: Gerade, wenn die Zeiten hektisch sind, sollten wir innehalten. Meine Frau und ich nehmen uns morgens eine Viertelstunde Zeit, um draußen bewusst einen Baum, eine Wiese oder einen Bach wahrzunehmen. Wer den Tag so – mit achtsamem Atmen, einer Meditationsübung, einem Gebet – beginnt, wird den Rest des Tages ganz anders gestalten.
Seitdem wir einen Hund haben, bin ich eingeladen, jeden Morgen rauszugehen – bei jedem Wetter. Die Kunst ist, das auch ohne Hund zu machen. Und das schaffen die meisten nicht. Deshalb braucht es manchmal auch so ein paar verrückte Aktionen. Wir haben uns vorgenommen, wenigstens einmal im Monat eine kleine Verrücktheit zu machen. Wir möchten so unseren Alltag, der sehr hochtourig und schnell ist, unterbrechen und einen anderen Maßstab einweben. So werden auch viele Termine und Anforderungen kleiner. Oder anders ausgedrückt: Wir möchten den Sternenhimmel wieder darüber spannen.

• Beim ersten Mal muss man sich bestimmt überwinden – da gibt es die Angst vor Spinnen, Dreck, Rückenschmerzen oder davor, überfallen zu werden. Sind solche Sorgen unbegründet?
Sie sind ernst zu nehmen, aber nicht überzubewerten. Mir selbst geht es da mitunter nicht anders, bevor ich starte. Es ist immer bequemer, zuhause zu bleiben, gerade wenn es stürmt und schneit. Aber ich habe immer wieder erlebt, dass es sich lohnt, sich darauf einzulassen und sich der Natur auszusetzen.

• Werden dabei auch Kindheitsgefühle reaktiviert?
Auf jeden Fall. Noch lebt die Generation der Menschen, die in der Kindheit viel in der Natur aktiv war, auf Bäume geklettert ist oder Baumhäuser gebaut hat. Fast jeder von ihnen hatte einen Lieblingsplatz oder Rückzugsort in der Natur, wo er unverplante Zeit zum reinen Spiel, zum Da-Sein hatte.
Wenn wir uns wieder an diese Zeit erinnern, dann gibt es zwei Schlussfolgerungen: Ja, ich will auch wieder raus. Und ich will das auch meinen Kindern und Enkelkindern wieder zugänglich machen, weil es mir gut getan hat.

• Und wenn man das weiß, nimmt man auch Spinnen in Kauf?
Genau, im Sommer können aber auch Mücken durchaus stören. Dreck ist kein Problem. Natürlich gelten draußen niedrigere Hygienestandards – das weiß jeder, der Camping macht. Auch Zecken stellen in der warmen Jahreszeit eine Herausforderung dar. Wenn man aber aus lauter Angst vor möglichen Gefahren zu Hause bleibt, dann wird das Leben schal.

• Haben Sie Tipps für das erste Mal?
Man sollte unbedingt einen Lieblingsmenschen mitnehmen! Denn geteilte Freude ist doppelte Freude, und geteiltes Leid ist halbes Leid. Man hat jemanden, mit dem man über sein Erleben reden kann. In einer Gruppe ist das nicht so inspirierend und schön. Das erste Mal würde ich im Sommerhalbjahr – also zwischen Mai und Oktober – draußen übernachten, eine einfache Isomatte reicht.
Man schläft in dieser Nacht bestimmt weniger als zuhause im Bett. Der Vorteil ist: Anders als an die Nacht im heimischen Bett kann man sich an diese Nacht und das Außergewöhnliche an der Situation erinnern. Das bleibt lange im Gedächtnis haften.

• Und wenn man doch kalte Füße bekommt?
Man sollte einen sanften Einstieg wählen und nicht an einem Ort übernachten, wo man von widrigen Gegebenheiten überfordert sein könnte. Ich kann solche Mini-Auszeiten und -Abenteuer auch erleben, wenn ich im Großstadt­dschungel mit einer Bettmatratze auf dem Dachgarten übernachte. Es macht schon ein gutes Gefühl, draußen zu sein, die Sterne zu sehen und sich an die Kindheit zu erinnern. Es geht nur darum, dass das Herz ein klein wenig hüpft.

Buchhinweis:
Beate und Olaf Hofmann: Leben mit tausend Sternen: Holen Sie sich das Glück zurück. Es liegt direkt vor Ihrer Haustür. adeo Verlag, 224 Seiten, 18 Euro.