Artikel teilen:

Schau in Antikensammlung über die Sinnlichkeit des Rebensafts

“Wenn der Wein nicht wäre, müsste aus der Menschenwelt jede Liebeslust und jede Freude schwinden”, war der griechische Tragiker Euripides überzeugt. Eine Münchner Ausstellung spürt nun dem Wein und der Sinnlichkeit nach.

Ohne Wein waren im frühen Griechenland Feste und religiöse Kulte nicht denkbar. Antike Dichter erzählen davon, genauso wie die vielen Vasen, Schalen und Gefäße in den Staatlichen Antikensammlungen in München. Sie bilden bis zum 20. Oktober den Grundstock für eine Sonderschau zum Thema “Wein und Sinnlichkeit”. Die unterschiedlichen Aspekte des Weingenusses werden in kleinteiligen Darstellungen an den antiken Gefäßen sichtbar gemacht. Dazu kommen großformatige Fotografien des steirischen Fotokünstlers Johann Willsberger, in dessen Arbeiten der Wein ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt.

Wein zu genießen, ist eine Freude. Doch üble Folgen kann ein Rausch mit sich bringen. Im griechischen Götterhimmel dafür zuständig war Dionysos. Er stand für Euphorie und Ekstase, aber auch für Kontrollverlust und Wahn. Seine Macht konnten alle am eigenen Leib spüren – selbst die Götter. Deshalb war beim Weintrinken stets Selbstbeherrschung geboten.

Niemand im alten Griechenland trank daher ganz allein. Die soziale Kontrolle sollte Grenzen setzen. Im gemeinsamen Trinken, dem Symposion, suchten die alten Griechen die Nähe des verheißungsvollen Gottes. Diese Treffen im privaten Kreis waren enorm wichtig. Hier wurden geschäftliche Dinge verhandelt, philosophische Gespräche geführt, geistvolle Gedichte zitiert – oder zumindest die eigene Trinkfestigkeit demonstriert.

Man lag dabei im Männergemach, weil sich das Symposion oft an ein vorheriges Mahl anschloss. Den Wein tranken die Teilnehmer aus kostbaren und mit reichem Bildschmuck verzierten Gefäßen, aber immer verdünnt mit Wasser. Ihn pur zu sich zu nehmen, wäre Barbarei gleichkommen. Bei einem solchen Fest waren alle Sinne gefordert: Geschmack und Duft des Weines, der auch gewürzt war, erfreuten den Zecher, Weihrauch und Parfüm erfüllten den Raum. Weiche Kissen und edle Materialien schmeichelten Haut und Händen, Musik und Gesang entzückten das Ohr.

In unzähligen Bildern tanzen Satyrn und Mänaden im gemeinsamen Rausch zu Ehren von Dionysos. Satyrn sind halbtierische Naturdämonen, die die männliche Seite des göttlichen Rausches verkörpern. Und Mänaden sind dem Namen nach “von Sinnen”, die sich der familiären männlichen Kontrolle durch Flucht in die Natur entzogen haben. Diesen Zustand einer glückseligen Verbindung mit einem Gott strebten auch die Menschen an.

Ein Symposion war quasi ein gemeinschaftsbildender Gottesdienst, weil Dionysos im Trinkenden körperlich und emotional wirkt und dieser den Gott unmittelbar spüren und wahrnehmen kann. Zum dionysischen Treiben gehörten auch Tänze und Umzüge von Maskierten, bei denen die Beteiligten ihre Identität wechseln konnten. Solche Masken-Paraden sind eine der Wurzeln des Theaterspiels. Die Theater waren damals oft an Dionysos-Kultorte angeschlossen.

Frauen waren bei diesen Symposien nicht zugelassen. Oder vielmehr: Die Ehrbaren unter ihnen nahmen von sich aus nicht daran teil. Viele Vasenbilder zeigen das ausgelassene Treiben einer stark alkoholisierten Männergesellschaft. Nur Hetären waren erwünscht, die mit Musik und Tanz die Gäste unterhielten. Der Begriff “Hetäre” (“Gefährtin”) verschleiert, dass es sich um Edelprostituierte handelte, die den Männern für deren erotische Bedürfnisse zur Verfügung standen. Auf den Gefäßen findet man sie oft idealisiert dargestellt: als Flötenspielerinnen und halb bekleidete Schöne.

Dass Wein mehr ist als ein Getränk, zeigen die Farbfotos von Johann Willsberger. Sie lassen etwas von dessen Magie erahnen, vor allem jene, die menschliche Vorstellungskraft anregenden “Gär- und Quetsch”-Bilder von Spitzenweinen: Die Nahaufnahmen demonstrieren unterschiedliche Stadien des Herstellungsprozesses. “Jeder Wein gärt anders”, sagt der Fotograf. Manche Bilder erinnern an die Ur-Suppe am Anfang der Entstehung der Welt. Darauf könnte der Besucher am Ende doch mal sein Glas erheben.