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Römischer Prozess mit römischem Urteil

UK 7/2016 „Die Bibel lesen“ (Seite 3) und 9/2016 Leserbrief (Seite 14: „Unerträglicher Anti-Judaismus“)
Antisemitsche Äußerungen in einer evangelischen Wochenzeitschrift im Jahre 2016 konnte ich mir bis jetzt nicht vorstellen. Leider habe ich mich geirrt. Der Leserbrief von Pfarrer Reiner Fröhlich machte mich dankenswerterweise auf die unglaublichen Äußerungen in der Bibellese aufmerksam.
Ich finde es beschämend und skandalös, dass solche Entgleisungen in einer ausgesprochen evangelisch-christlichen Zeitung möglich sind.
Der Autor der Bibellese meint zu wissen, was im Zusammenhang mit dem Einzug Jesu in Jerusalem damals „den Herzen vieler Menschen, vor allem im Volk Israel, verborgen“ ist. Außerdem glaubt er feststellen zu müssen, dass „die Blindheit und Ignoranz des alten Gottesvolkes und seiner frommen Führer gegen diesen Weg Gottes“ letztlich zum „Kreuz auf Golgatha“ führt.
Anscheinend sind die alten Zeiten nicht vorbei, in denen seit fast 2000 Jahren die antisemitischen Behauptungen immer wieder erneuert werden: Die Juden sind an allem Schuld – sie haben Jesus gekreuzigt – sie sind die Gottesmörder!
Festzuhalten bleibt, wenn es um die Schuldzuweisung an Jesu Tod geht, dass es ein römischer Prozess war mit einem römischen Strafurteil und dass dieses Urteil vollzogen wurde von römischen Henkern.
Die Kreuzesinschrift INRI nennt den Grund für dieses Urteil: Jesus von Nazareth – König der Juden.
Insofern ist auch die Formulierung in unserem Glaubensbekenntnis „unter Pontius Pilatus“ eine Verharmlosung des wahren Sachverhaltes. Es müsste eigentlich „durch Pontius Pilatus“ heißen. Warum ist eigentlich bisher noch niemand auf die Idee gekommen zu sagen: „Die Römer oder die Italiener sind an allem Schuld“? Das wäre doch nur folgerichtig?!
Ich wünsche mir, die Redaktion von UK könnte Mittel und Wege finden, um antisemtische Entgleisungen jeglicher Art zukünftig auszuschließen.
Rudolf Rogalla, Pfarrer i.R., Bochum-Wattenscheid