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Relikt aus napoleonischen Zeiten

Für viele Bürger ist es unverständlich: Der Staat zahlt den Kirchen jährlich Entschädigungen in Millionenhöhe. Die sogenannten Staatsleistungen sind ein Relikt aus napoleonischen Zeiten. Doch was sind Staatsleistungen, und wie können sie abgeschafft werden? Ein Überblick:

Was sind Staatsleistungen?

Der deutsche Staat hat den Kirchen vor allem während der Reformationszeit und durch die umfassende Säkularisation infolge der napoleonischen Kriege 1803 viele Vermögenswerte entzogen, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten. Staatsleistungen sind nach Definition des Religionsverfassungsrechtlers Peter Unruh Entschädigungen für in der Vergangenheit erlittene Vermögensverluste der Religionsgemeinschaften. Es handelt sich nicht nur um Geld, sondern sie können auch in der Nutzung von Gebäuden bestehen, die dem Staat gehören. Außerdem sind die Kirchen von der Grundsteuer befreit.

Zu unterscheiden von den Staatsleistungen sind staatliche Subventionen für öffentliche Aufgaben. Diese erhalten kirchliche Träger von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder anderen sozialen Einrichtungen. Hauptsächlich finanzieren sich die Kirchen durch Einnahmen aus der Kirchensteuer ihrer Mitglieder.

Wie viel Geld erhalten die Kirchen, und was machen sie damit?

Nach Angaben der Bundesländer haben die 27 katholischen Bistümer und 20 evangelischen Landeskirchen 2023 rund 638 Millionen Euro an Staatsleistungen erhalten. Regional gibt es aber große Unterschiede: Die höchsten Staatsleistungen zahlen die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern. In Hamburg und Bremen werden gar keine Staatsleistungen gezahlt. Um einer Entwertung entgegenzuwirken, werden die Zahlungen an die Gehaltssteigerungen des öffentlichen Dienstes gekoppelt.

Nach Auskunft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz fließen die Staatsleistungen in die Haushalte ein. Meistens machen sie keinen großen Anteil der Einnahmen aus. Doch kleine Landeskirchen und Bistümer im Osten sind auf die Zahlungen angewiesen. Mit dem Geld bezahlen die Kirchen unter anderem Personalkosten, einige Mittel fließen den Angaben zufolge aber in kirchliche Angebote, die auch Nicht-Mitglieder nutzen können.

Warum sollen die Entschädigungen abgelöst werden?

Im Grundgesetz ist die Verpflichtung zur Ablösung der Staatsleistungen festgeschrieben, sie wurde aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Die Staatsleistungen müssen zwar von den Bundesländern abgelöst werden, aber die Grundsätze dafür muss der Bund aufstellen. Ziel ist die saubere Trennung zwischen Kirche und Staat. Die Ampel-Koalition hat das Vorhaben in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen.

Bund, Länder und Kirchen trafen sich vor zwei Jahren auch schon zu Gesprächen. Das Vorhaben liegt derzeit aber auf Eis, weil die Bundesländer, die am Ende zahlen müssen, mauern. Die Ampel-Fraktionen im Bundestag arbeiten trotzdem gerade an einem Gesetzentwurf, der im Herbst vorliegen könnte.

Welche Vorschläge gibt es?

Experten weisen die gelegentlich vertretene Auffassung zurück, mit den Zahlungen seit 1919 sei bereits eine Ablösung erfolgt. Der Umfang der Ablösungen ist jedoch umstritten. Es geht um die Frage, ob der gesamte Wert aller materiellen und immateriellen Leistungen ersetzt werden muss (Äquivalenzprinzip) oder ob eine angemessene Entschädigung auch hinter dem vollen Wertersatz zurückbleiben kann.

Hinzu kommt Uneinigkeit über die Kalkulation der Ablösesumme. In einem Gesetzentwurf aus der vorhergehenden Legislaturperiode schlugen Linke, FDP und Grüne einen Kapitalisierungsfaktor von 18,6 vor, mit dem der aktuelle Wert der Staatsleistungen multipliziert würde, damit die Kirchen eine ausreichende Kapitalgrundlage zum Wirtschaften haben. Für die Länder geht es also um eine Milliardensumme, die zu entrichten wäre.

Diskutiert wird auch ein Rentenmodell, wie es in Sachsen nach 1989 eingeführt wurde. Dann würden die Bundesländer den Kirchen dauerhaft regelmäßig Pauschalbeträge zahlen. Das widerspricht laut dem Kieler Oberkirchenrat Peter Unruh einer Ablösung. Dies sei „Etikettenschwindel“. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, steht einer Rentenlösung hingegen positiv gegenüber.