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Religionssoziologe: Religionen haben hohe Verantwortung im Krieg

Religionen können zwischen Kriegsparteien vermitteln, sagt der Religionssoziologe Detlef Pollack. Deutliche Kritik übt er am Papst.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack
Der Religionssoziologe Detlef PollackImago / epdbild

Religionssoziologe Detlef Pollack sieht eine hohe Verantwortung der Religionen im Krieg und kritisiert die Haltung von Papst Franziskus. “Religionen können Konflikte anheizen, sind aber auch in der Lage, zwischen verfeindeten oder sogar Kriegsparteien zu vermitteln”, sagte er dem Kölner katholischen Internetportal domradio.de. Daher müsse sich jede Religionsgemeinschaft kritisch fragen, “inwieweit man selbst eine konfliktverschärfende Tendenz in sich trägt und inwieweit die eigene Religion als Ressource für die Verschärfung von Konflikten wirken kann”.

Man könne nicht sagen, dass die Konflikte in Nahost oder der Überfall Russlands auf die Ukraine rein politische Konflikte seien und die Religion gewissermaßen nur benutzt werde, fügte Pollack hinzu: “Religion kann Motive liefern, um den Konflikt anzuheizen.” Insbesondere Kyrill I., der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche, “stellt Formeln bereit, um diesen Krieg zu legitimieren. Insofern trägt er zur Verschärfung der Lage bei.”

“Kampf zwischen Gut und Böse”

Religion sei in der Lage, eine Vorstellungswelt aufzumachen, die zu Beginn politisch bedingte Konflikte religiös auflade, ergänzte der Experte: “Kyrill I. spricht von einem metaphysischen Kampf zwischen Gut und Böse. Natürlich stehen die Guten auf der Seite Russlands. Die Bösen auf der anderen Seite. Das ist nicht nur eine Form der Benutzung von Religion, sondern an dieser Stelle wird Religion zu einer Quelle der Gewaltverschärfung.”

Auch im Nahen Osten seien Politik und Religion nicht ohne weiteres auseinanderzuhalten: “Religion ist nicht das Unschuldige und Politik gewissermaßen schuldig, weil Religion nur benutzt werde.” Umfragen zeigten, so Pollack weiter, dass Gewalt immer wieder religiös legitimiert werde und auch hier eine “eigenständige Quelle der Gewaltverschärfung” sein könne: “Es gibt sehr viele Menschen, die sagen, dass religiöse Lehren über den rechtlichen Bestimmungen eines demokratischen Staates stehen. Oder sie sagen, dass nur ihre Religion die wahre ist.”

Auf die Frage nach der Friedensethik von Papst Franziskus, der versuche, sich neutral zu verhalten, dafür aber von vielen Seiten Kritik bekomme, dass er sich nicht deutlich genug positioniere, sagte Pollack: “In meinen Augen ist es wohlfeil, zu Frieden, Verständigung und Waffenstillstand aufzurufen, ohne die Frage zuzulassen, wer die Verantwortung für Kriegshandlungen oder für die Verschärfung von Konflikten trägt.” Daher könne sich eine religiöse Gemeinschaft oder einer ihrer Vertreter nicht aus der Bewertung eines Konflikts herausstehlen.