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Religionssoziologe Pickel: Antisemitismus auch unter Christen

Christinnen und Christen sind aus Sicht des Leipziger Religionssoziologen Gert Pickel nicht offener gegenüber dem Judentum als die Gesamtbevölkerung. Unter ihnen gebe es genauso viel Antisemitismus wie bei Nichtgläubigen, sagte Pickel am Dienstag dem Kölner Internetportal domradio.de.

Christen drücken laut dem Wissenschaftler Antisemitismus weniger direkt in klassischer Weise aus, “weil man weiß, dass man so etwas nicht mehr sagt”. Vielmehr nutzten sie eine sogenannte Umweg-Kommunnikation, indem sie sich wie Muslime kritisch zu Israel äußerten – etwa in dem Sinne: “Na ja, jetzt schaut doch mal nach Israel, das sieht doch auch ganz schlecht aus.”

Eine zweite Form von Umweg-Kommunikation ist nach den Worten Pickels besonders in Deutschland verbreitet, indem man sage: “Da muss doch irgendwann mal Schluss sein mit diesem Holocaust-Denken.” In der Betonung, “dass wir damit gar nichts mehr zu tun haben”, zeige sich ein “Schuldabwehr-Antisemitismus”. Dieser sei noch relativ weit verbreitet. “Über 40 Prozent der Katholiken und Protestanten in Deutschland äußern sich da durchaus zustimmend”, so der Wissenschaftler.

Der Antisemitismus sitze ziemlich tief und werde immer dann bemüht, wenn ein Sündenbock gebraucht werde, führte Pickel aus. Im Christentum komme die Konkurrenz zum Judentum hinzu, die im alten Antijudaismus stecke. Das Denken, wonach die Juden besser Christen werden, sei noch nicht ganz überwunden.

Darüber müsse in den Kirchen ein Dialog geführt werden, um der Judenfeindschaft zu begegnen, forderte Pickel. Auch sei dort das Wissen über das Judentum auszubauen. Obwohl Pfarrerinnen und Pfarrer Hebräisch könnten, seien sie kaum in der Lage, irgendetwas über das moderne Judentum zu sagen. Überdies brauche es “so viele Kontakte und so viel Austausch wie irgend möglich” unter Juden und Christen. Das sei aber nicht ganz einfach, da der Anteil der jüdischen Bevölkerung in Deutschland gering sei.