Artikel teilen:

Prophetische Urkraft – Altmeister Bob Dylan auf Europatour

Bob Dylan gehört seit den 1960er Jahren zu den einflussreichsten Musikern der Welt. Jetzt war er live in der Uber Eats Music Hall in Berlin. Unser Autor war dabei und spürt biblische Botschaften auf.

Bob Dylan hier live auf der Bühne im Hyde Park in London 2019 (Archiv)
Bob Dylan hier live auf der Bühne im Hyde Park in London 2019 (Archiv)Imago / Matrix

Zufall, soviel ist bekannt, ist nichts bei der Auswahl der Titel und bei seinen Texten. Interviews gibt er grundsätzlich keine, es wäre doch alles in seinen Songs.

„Es muss doch einen Weg hier raus geben, sagte der Narr zu dem Dieb, hier ist zu viel Verwirrung.“ (There must be some way out of here, said the joker to the thief / There’s too much confusion) Mit seinem Klassiker “All Along The Watchtower” beginnt der Literaturnobelpreisträger sein Konzert in der Berliner Uber Eats Music Hall. Was für ein Bezug zur aktuellen Weltlage! Kurz zuckt der Tontechniker ratlos die Schultern, weil der 83jährige Bob Dylan seine Stimme und den Abstand zum Mikrofon erst in den Griff bekommen muss – dann aber ist er voll da. Sitzt nicht nur versteckt hinter dem Klavier, wie so häufig in der dreimal nacheinander ausverkauften Berliner Uber Eats Music Hall. Tanzt geradezu um den Flügel herum und geht offen auf das Publikum zu.

Das Programm ist ein Spagat, Dylan wechselt Songs von seinem letzten Album von 2020 ab mit Klassikern, die über 50 Jahre alt sind. Das muss man wissen, zu hören ist es nicht, wenn man die Titel nicht kennt. Die hervorragende vierköpfige Begleitband lebt die Musik mit ihm. Viele Stile hat er in den Jahrzehnten ausprobiert – am Ende ist es ein gerader, ehrlicher Blues, der seinen Texten die Wirkung verleiht. Texte, von denen viele auch seinem Namensgeber Dylan Thomas (Bob Dylan wurde als Robert Zimmermann geboren und nannte sich nach dem Dichter) alle Ehre machen würden.

Bob Dylan spricht kein Wort und geht am Ende ohne Zugabe von der Bühne

Die Atmosphäre im Konzert ist die eines klassischen Konzertes, Ruhe auf den Sitzplätzen vor dem Auftritt. Keine Vorgruppe, keine Ablenkung. Bob Dylan spricht kein Wort und geht am Ende ohne Zugabe von der Bühne. Die Texte sind unvorbereitet nicht zu verstehen, aber könnte irgend jemand einer Oper ohne durchlaufenden Text auf dem Display moderner Opernhäuser folgen? Das Publikum von Dylan kennt die Texte, applaudiert oder raunt an entscheidenden Stellen.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Bob Dylan (@bobdylan)

Etwa bei der Anti-Rassismus-Hymne „Desolation Row“ von 1965 oder dem aktuellen „False Prophet“, in dem Dylan ungezügelte Gier anprangert. Und so entfacht der wahrscheinlich einflussreichste Musiker der populären Musik der Gegenwart noch einmal seine volle Wirkung, mühelos kann er sich darauf verlassen, dass er sein Publikum für anderthalb Stunden vollständig in seinen Bann ziehen kann.

Dylan beendet aktuell seine Konzerte mit dem einzigen Song, der nicht entweder aus seiner früher oder der späten Phase seines Schaffens stammt. Every Grain Of Sand von 1981, aus der Zeit, in der er das Christentum entdeckte. Die Schlusszeile bezieht sich offensichtlich auf das Matthäus-Evangelium mit der Botschaft: Fürchtet euch nicht! Warum er in seinem Alter nicht aufhöre Konzerte zu spielen und um die Welt zu touren? Weil es das ist, was ich tue, sagt Dylan angeblich. Und solange die Setlist nicht mit „Knocking On Heavens Door“ aufhört, wird er wohl weitermachen. Dieses Jahr noch in Deutschland, Frankreich und Großbritannien.