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Präses Latzel räumt Versäumnisse bei Aufarbeitung von Missbrauch ein

Eine Woche vor Veröffentlichung der sogenannten ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche hat der rheinische Präses Thorsten Latzel Betroffene um Entschuldigung gebeten. Bei der Aufarbeitung habe es Versäumnisse gegeben, räumte der leitende Theologe am Donnerstag auf einer Pressekonferenz während der rheinischen Landessynode in Düsseldorf ein. Menschen „auf allen Ebenen“ hätten „dem Schutz des Ansehens der Kirche oder Trägern einen zu hohen Stellenwert“ eingeräumt. Das Leid von Betroffenen habe hingegen eine weniger große Rolle gespielt.

Dieser Umgang habe den von Missbrauch betroffenen Menschen weiteren Schaden zugefügt, sagte der leitende Geistliche. „Das gehört zur Schuldgeschichte unserer Kirche und auch dafür können wir die betroffenen Menschen nur um Entschuldigung bitten.“ Der Umgang mit Missbrauch und sexualisierter Gewalt sei ein dauerhafter Lernprozess, betonte Latzel. Und dieser sei in der evangelischen Kirche wie auch in der Gesellschaft „bei Weitem nicht abgeschlossen.“

Am 25. Januar veröffentlicht ein unabhängiger Forschungsverbund eine Studie über sexuellen Missbrauch in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie. Die Ergebnisse dieser sogenannten ForuM-Studie sind den Kirchen bisher nicht bekannt. Latzel betonte, die kritische Sicht von außen sei der rheinischen Kirche sehr wichtig. Für die geplante Aufarbeitung werde die Perspektive der Betroffenen von großer Bedeutung sein.

Der Vizepräses der rheinischen Kirche, Christoph Pistorius, betonte, innerhalb der evangelischen Kirche müsse mehr auf Macht als Faktor bei Übergriffen geschaut werden. „In der Kirche reden wir nicht über Macht und tun so, als gäbe es keine“, sagte Pistorius. Dass dies aber wichtig sei, zeige sich auch im Dialog mit Betroffenen. Vorherrschende Themen in solchen Gesprächen seien neben dem Umgang mit Macht in der Kirche auch die Frage nach struktureller Gewalt und die Frage nach dem Umgang mit Schuld. Hier wolle man genauer hinschauen. Verschiedene Ausschüssen der Synode würden sich mit Fragen nach den Gründen auseinandersetzen, die Gewalt begünstigen können.

Die rheinische Kirche hat 2021 ein Konzept zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet. Auch die Kirchenkreise und viele Gemeinden haben auf dieser Basis Regeln und Leitlinien erarbeitet. Dass die Prävention Wirkung zeige, sei etwa an den stark angestiegenen Beratungszahlen zu sehen, erklärte Juliane Arnold von der Evangelischen Hauptstelle für Familien- und Lebensberatung. Allein im Jahr 2023 seien 301 Beratungen in der Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung durchgeführt worden. Von 2011 bis 2022 seien es insgesamt lediglich 220 Beratungen gewesen.

Die Mitarbeitenden seien im Umgang mit Macht „deutlich sensibler“ geworden, sagte Arnold. Schulungen, Beratungen und weitere Präventionsangebote führten zu einem Wandel. „Jeder Verdacht, der hochkommt, wird mittlerweile gesehen als ein Gewinn“, sagte sie. Denn dabei zeige sich, dass die Menschen nicht mehr wegschauten, unangenehme Situationen könnten reflektiert und professionell bearbeitet werden.

Seit 1946 sind nach Angaben der rheinischen Kirche 70 Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt bekannt, die in den Akten gefunden wurden. Bei einer 2021 eingerichteten Meldestelle wiederum seien bisher 76 Verdachtsmeldungen eingegangen. In der sogenannten ForuM-Studie könnte eine höhere Fallzahl enthalten sein, weil sich Betroffene ausschließlich an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewendet haben könnten.

Pistorius zufolge verteilen sich die Verdachtsfälle bisher etwa zu einem Drittel auf Pfarrpersonen, zu einem Drittel auf weitere Mitarbeitende und zu einem Drittel auf Ehrenamtliche. Es mache wenig Sinn, zwischen den Fällen zu unterscheiden. Jeder Verdacht auf sexualisierte Gewalt in der Kirche müsse aufgearbeitet werden.

Im Zusammenhang mit Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind den Angaben zufolge seit 2004 insgesamt 28 Disziplinarverfahren geführt worden – vier davon liefen noch. In elf Fällen habe auch die jeweilige Staatsanwaltschaft ermittelt. Vier Strafverfahren seien wegen eines nicht hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden, eines gegen Auflagen.