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Präeklampsie – Wenn eine Schwangerschaft lebensbedrohlich wird

Weltweit sterben jedes Jahr 70.000 Frauen an den Folgen einer sogenannten Schwangerschaftsvergiftung. Eine Betroffene beklagt, dass weder ausreichende Aufklärung noch Hilfe erhalten habe. Auch Fachleute sehen Defizite.

Es war die erste Schwangerschaft der Schauspielerin Anika Lehmann. Aus beruflichen Gründen hielt sie sich gerade in den USA auf: “In der 32. Schwangerschaftswoche ging”s mir plötzlich richtig schlecht, ich hatte stark geschwollene Füße und Hitzewallungen, hab mich total kraftlos gefühlt”, sagt sie. “Der Blutdruck war dann bei 199, als ich in L.A. ins Krankenhaus kam, der ging nicht runter.” Ihre Tochter kam per Notkaiserschnitt auf die Welt.

Präeklampsie lautete die Diagnose – Lehmann hatte noch nie davon gehört. Ihre im achten Monat geborene Tochter musste in den Brutkasten, die junge Mutter durfte nicht zu ihr, war zur Überwachung an Maschinen angeschlossen wegen des Risikos auf Schlaganfall oder Herzinfarkt. Dazu kam es glücklicherweise nicht. Doch noch immer – Tochter Anouki ist mittlerweile fast zwei Jahre alt – leidet die 39-Jährige unter hohem Blutdruck und Wassereinlagerungen. Und fühlt sich mit ihren Beschwerden ziemlich allein gelassen.

Dabei ist die Präeklampsie ein weit verbreitetes Phänomen: 2 bis 3 Prozent der Schwangeren in Westeuropa erleiden sie; weltweit versterben jedes Jahr fast 70.000 Frauen an der Krankheit. Auch überleben hierzulande etwa vier von 100.000 Frauen eine Geburt nicht. Unter den häufigsten Todesursachen ist das HELLP-Syndrom, die schwerste Ausprägung der Präeklampsie: Hier kann es zur Ablösung der Plazenta, einem Leberriss, Hirnblutungen und Nierenversagen kommen.

Definiert ist die Präeklampsie heute als Blutdruckerkrankung. “Das heißt, Frauen, die in der Schwangerschaft eine Hypertonie bekommen, und dann darüber hinaus noch weitere Organauffälligkeiten haben”, erklärt Gynäkologe Ulrich Pecks. “Das kann alles Mögliche sein, leider, und das macht die Präeklampsie zu so einer Art Chamäleon.” Pecks ist einer der beiden Koordinatoren für die derzeit gültigen Leitlinien zu hypertensiven Erkrankungen in der Schwangerschaft der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.

Zahlreiche Symptome können auf die Krankheit hinweisen: Kopfschmerzen, Nieren- und Leberprobleme, Gerinnungsstörungen, Übelkeit und Durchfall, aber auch Augenflimmern, Sehstörungen und Schwindel. Nahezu immer wird die Erkrankung von einem hohen Blutdruck begleitet. Gefährlich wird es, wenn starke Oberbauchschmerzen hinzukommen – dann handelt es sich womöglich um das akut lebensbedrohliche HELLP-Syndrom.

Ähnlich lang wie die Liste der Symptome ist auch jene möglicher Risikofaktoren: Diese reichen von jung und erstgebärend bis zu einem Alter ab 35 Jahren, Vorerkrankungen wie bereits bestehendem Bluthochdruck oder Diabetes über starkes Übergewicht, Präeklampsie in einer vorherigen Schwangerschaft oder innerhalb der Familie hin zu Mehrlings- oder durch künstliche Befruchtung herbeigeführte Schwangerschaften. Es kann also, salopp gesagt, fast jede Schwangere treffen.

Wie die Krankheit entsteht, ist nicht in Gänze bekannt – denn Forschung zum Thema hat es schwer, wie Mediziner Pecks ausführt: “Schwangerschaft und Geburt haben leider in Deutschland, aber auch international nie die ganz große Aufmerksamkeit bekommen – da ist viel Nachholbedarf. Wenn man sich die Präeklampsie-Szene ansieht, die ich seit 20, 25 Jahren gut kenne: Das ist immer Low-Budget-Forschung, wenn man so will. Und dementsprechend bleibt es schwierig, die Grundlagen der Präeklampsie wirklich zu verstehen.”

Um eine “Schwangerschaftsvergiftung”, wie die Krankheit landläufig genannt wird, handelt es sich jedenfalls nicht. Der irreführende Begriff ist womöglich eher Ausdruck der Ratlosigkeit, die mit dem Krankheitsbild lange einherging – und teils bis heute einhergeht.

Doch mangelt es nicht nur an Forschung, sondern auch an Aufklärung und Beratung. So wurde Anika Lehmann nach eigenen Worten nicht über das Risiko einer Präeklampsie informiert: “Ich war vor und dann auch während meiner USA-Reise regelmäßig bei Vorsorgeuntersuchungen, und da wurde ich nicht aufgeklärt – obwohl ich mit Hebammen und Gynäkologinnen gesprochen habe. Ich finde, über das Thema müsste man innerhalb der ersten Schwangerschaftswochen informieren beziehungsweise gezielt auf die Präeklampsie hin untersuchen.”

Tatsächlich wäre Letzteres mittlerweile möglich. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Trotz mancher Defizite wurden in den vergangenen 20 bis 30 Jahren enorme Forschungsfortschritte in Sachen Früherkennung gemacht – die müssten nun nur noch in der Versorgung von Schwangeren ankommen. So lässt sich zwischen der 12. und der 14. Schwangerschaftswoche anhand einer Kombination aus Bluttest, mütterlichem Blutdruck und Doppler-Ultraschall der Plazenta eine Risikoberechnung erstellen. Ulrich Pecks und die Geburtshilfe-Fachgesellschaft fordern, “dass dieses Screening jeder Frau angeboten oder sie zumindest darüber informiert wird, dass es das gibt”.

Anika Lehmann hätte eine solche Untersuchung wahrscheinlich geholfen: Frauen mit einem nachweislich hohen Präeklampsie-Risiko können dieses mithilfe von Aspirin verringern. In den aktuellen Mutterschafts-Richtlinien, an denen sich Frauenärzte und -ärztinnen orientieren müssen, ist das Screening allerdings (noch) nicht enthalten. Dafür müsste ein gesetzlicher Antragsberechtigter eine Methodenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) anstoßen, der wiederum bindende Richtlinien für die gesetzlichen Krankenkassen verabschiedet. Die Fachgesellschaft bereitet derzeit die entsprechenden Schritte vor.

Versorgungslücken gibt es allerdings auch nach der Erkrankung: So kritisiert TV- und Musical-Darstellerin Lehmann, dass sie nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt vom Frauenarzt zur Kardiologin zum Nierenarzt laufen musste. Die, wie die lebhafte Frau erzählt, teils offen zugaben, sich mit der Erkrankung nicht auszukennen. “Es gibt keine zentrale Anlaufstelle, wo jemand wie ich, der lange nach der Geburt noch unter den Nachwirkungen leidet, hingehen kann.” Sogar bei der Berliner Charité habe man ihr gesagt: “Nee, sorry, für Sie sind wir nicht zuständig.” Wünschenswert wäre aus Lehmanns Sicht dagegen, von einem Team aus Fachkundigen beraten zu werden.

Den Bedarf sieht auch Pecks, der die Geburtshilfe an der Uniklinik Würzburg leitet: “Es mangelt”, mahnt er. “Das ist ein wirklich relevantes Problem. Denn Frauen, die in der Schwangerschaft Präeklampsie erlitten haben, tragen ein lebenslanges Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, etwa Nierenerkrankungen, Herzinfarkt, Bluthochdruck.”

Daher statte man an seiner Klinik alle Schwangeren mit Bluthochdruck mit einem Nachsorgepass aus – den man sich etwa auch über die Seite der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften AWMF herunterladen könne: “Darin stehen klare Handlungsanweisungen für den niedergelassenen Gynäkologen oder Hausarzt und auch, wie die Interaktionen zwischen den verschiedenen Fachärzten gut zu gestalten sind.”

Ob Anika Lehmann nach all diesen Erfahrungen eine weitere Schwangerschaft eingehen würde? Die 39-Jährige lacht und sagt, dass sie dafür erst einmal einen Mann bräuchte – sie ist alleinerziehend. Dann wird sie doch ernst: “Ich hab natürlich großen Respekt davor. Man müsste sich sehr engmaschig untersuchen lassen. Wenn man einmal eine Präeklampsie hatte, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man es nochmal bekommt.” Was in jedem Fall helfen würde: mehr Aufmerksamkeit für das Thema, eine bessere Aufklärung und Betreuung von Schwangeren, ein stärkerer Fokus auf die Betroffenen. Und: “Ich finde es toll, ein Kind zu haben”, sagt Anika Lehmann. Trotz allem.