Die antiisraelischen Proteste seit dem 7. Oktober 2023 an deutschen Universitäten sind nach Ansicht des Mannheimer Politologen Richard Traunmüller auf eine Minderheit zurückzuführen, die die Mehrheit übertönt. „Antisemitismus ist natürlich auch im linken akademischen Milieu nachweisbar“, sagte der Forscher dem Evangelischen Pressedienst (epd), „aber von allen untersuchten gesellschaftlichen Gruppen ist er in dieser am geringsten ausgeprägt.“
Traunmüller bezog sich dabei auf eine Studie der Uni Mannheim, deren Mitautor er ist. Demnach sind junge Menschen mit akademischem Hintergrund und politisch linker Einstellung zwar ausgeprägt propalästinensisch eingestellt, aber kaum antisemitisch.
Die Proteste gegen Israel an den Unis nach dem terroristischen Überfall der Hamas hätten auch ihn verstört, sagte Traunmüller. Es sei wesentliche Motivation der Studie gewesen, herauszufinden, ob das akademische Milieu tatsächlich so antisemitisch sei, wie das oft behauptet werde.
Die vergleichsweise weite Verbreitung propalästinensischer Einstellungen unter jungen, linken Akademikern sei kein Widerspruch zum geringen Antisemitismus, sagte Traunmüller. Seine Vermutung sei, dass hier eine Empathie für die Opfer beider Seiten vorhanden sei: „Das kann man trennen im Kopf.“ Empathie für Palästinenser werde den Ergebnissen der Studie zufolge auch nicht als Freibrief gesehen. Palästinensische Terroristen würden nicht als Freiheitskämpfer betrachtet, sagte der Forscher.
Zwar sind der Studie zufolge junge Akademiker eher dafür, dass es erlaubt sein sollte, Israel als Apartheidstaat zu bezeichnen. Diese Toleranz für antisemitische Äußerungen dürfe aber nicht mit Judenfeindschaft selbst verwechselt werden, sagte Traunmüller: „Um tolerant gegenüber einer Position sein zu können, muss man diese Position erst einmal für sich selbst ablehnen.“
Im Unterschied zum traditionellen Antisemitismus, der von grundsätzlichen negativen Eigenschaften von Juden ausgeht, ist im linken akademischen Milieu der antizionistische Antisemitismus verbreiteter, der die Rechte Israels auf Existenz und Selbstverteidigung infrage stellt. Traunmüller wies allerdings darauf hin, dass der Antizionismus unter linken, jungen Akademikern nicht stärker als in anderen Gruppen verbreitet, sondern auf ähnlichem Niveau sei. In allen Gruppen belegten die in der Studie erhobenen Werte auch keine überwiegende Zustimmung zum Antizionismus, sondern eher Ablehnung.
Klassischerweise gilt Antizionismus als eine Bemäntelung von latent vorhandenen traditionellen antisemitischen Einstellungen. Unter älteren Menschen und solchen, die politisch rechts verortet sind, zeigt sich in der Studie dieser Zusammenhang zwischen traditionellem Antisemitismus und Antizionismus auch, nicht jedoch für junge, linke Akademiker. Traunmüller erklärte, er vermute, dass der Antizionismus in diesem Milieu nicht antisemitisch angetrieben sei, sondern in antiimperialistischen Grundsätzen wurzele. (2356/19.10.2024)