Als Martin Luther (1483-1546) als fast 30-jähriger Mönch nach Rom kam, erlebte er die Stadt der Päpste mitten im Umbruch. Die im Mittelalter auf die Dimension einer unbedeutenden Kleinstadt geschrumpfte Metropole war im Begriff, sich in den Formen der Renaissance neu zu erfinden.
Heutige Rom-Touristen auf Luthers Spuren besuchen auch den nach ihm benannten Platz auf dem zentralen Colle-Oppio-Hügel oberhalb des Kolosseums. Die Stadt ist jedoch zu reich an Denkmälern, um die Luther-Orte eigens zu vermarkten. Auch wenn Roms Bürgermeister Ignazio Marino sich bei der Einweihung der Piazza Martin Lutero im Spätsommer 2015 bewegt zeigte über die Ehrung für den Mann, der auf dem Straßenschild als „deutscher Theologe der Reformation“ bezeichnet wird. Die anwesenden Deutschen überraschte Marino in dem bei Familien mit Kindern beliebten Park, indem er fast akzentfrei auf Deutsch einen Satz zitierte, den Luther kurz vor seinem Tod geschrieben hatte: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“
Deutsche Besucher genießen gern die Ruhe von Luther-Platz und Park bei einem Kaffee – und geraten dabei in Konflikt mit der Betreiberin des Kiosks. „Auf den Cappuccino gehört keine Schokolade“, schimpft sie.
Für den Pfarrer der evangelisch-lutherischen Christuskirche in Rom, Jens-Martin Kruse, ist der Platz „Ausdruck einer lebendigen und vielfältigen Ökumene“. Er mache deutlich, dass Rom eine „weltoffene Stadt ist, zu deren Reichtum es gehört, dass in ihr auch evangelische Römer leben und arbeiten“. Eingeweiht wurde der Platz rund 500 Jahre nach Luthers Romreise.
Ob der spätere Reformator im Herbst 1510 oder 1511 nach Rom wanderte und ob er das tatsächlich tat, um im Vatikan eine Protestnote seines Ordens, der Augustiner, zu überbringen, ist heute umstritten. Niemand habe damals der Reise „besondere Beachtung geschenkt: kein Empfang durch den Papst, kein Treffen mit hochrangigen Kardinälen, keine genaue Dokumentation des Verlaufs und des Ergebnisses“, erklärt der Kirchenhistoriker Martin Wallraff. Und: „Niemand konnte damals ahnen, welche Auseinandersetzungen ein paar Jahre nach der Romreise von der Universität Wittenberg ihren Ausgang nehmen sollten und wie weite Kreise sie ziehen würden – gewiss auch Luther nicht.“
Im Unterschied zum Goethe-Zeitgenossen Johann Gottfried Seume, der seinen „Spaziergang nach Syrakus“ weitgehend in Kutschen absolvierte, machte Luther sich tatsächlich zu Fuß auf den Weg über die Alpen. Nach langer beschwerlicher Reise stand er nicht vor der wesentlich späteren monumentalen Barockfassade des Petersdoms, sondern vor einer Riesenbaustelle. Dort konnte Luther mit eigenen Augen sehen, wie das Geld aus dem später von ihm angeprangerten Ablasshandel verbaut wurde.
Das prunkvolle Rom, dessen Päpste die Kunst ebenso förderten wie die eigenen Genüsse, sollte der Reformator in der Folge als „Hure Babylon“ beschimpfen. Im Konflikt mit der Kirchenspitze gelangte er zu der drastisch geäußerten Auffassung: „Gibt es eine Hölle, so steht Rom darauf.“
Knapp 200 Jahre später setzte der zur Speerspitze des Kampfs gegen die Reformation eingesetzte Jesuitenorden Martin Luther unfreiwillig ein Denkmal. Auf dem prunkvollen Grabaltar des Ordensgründers Ignatius von Loyola in der römischen Kirche Il Gesù stößt die „rechte Lehre“ in Gestalt einer Frauenfigur „die Häresie“ in den Abgrund, die durch Bücher von Luther und Johannes Calvin dargestellt ist.
Von der Augustinerkirche am nördlichen Eingangstor der Altstadt an der Piazza del Popolo zum Hauptsitz des Ordens an der Kirche Sant Agostino durchwandert der heutige Besucher die wichtigste Shopping-Meile der Stadt. Kurz vor ihrem Ende stößt er in der kleinen Seitenstraße Via Lata auf den Facchino-Brunnen. Dem Volksmund zufolge stellt die Figur Luther als Wasserträger dar. Deshalb ist ihr Antlitz von zahlreichen Steinwürfen fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört.
Wie andere Pilger besuchte Luther auch die Katakomben an der Via Appia, sah die Lateranbasilika und erklomm betend die Scala Santa, die Heilige Treppe. Deren Stufen aus dem Palast des Pilatus, die Jesus auf dem Weg zu seinem Richter erklomm, sollen durch ein Wunder nach Rom gelangt sein. „Aber als ich oben ankam, dachte ich: Wer weiß, ob es wahr ist“, schrieb Luther in einer Predigt.
n Jürgen Krüger, Martin Wallraff: Luthers Rom. Die Ewige Stadt in der Renaissance. Philipp von Zabern, 176 Seiten, 24,95 Euro.