Hamburg. Jetzt ist Schluss mit Alltag. Das ist für Bernd Lohse klar. Der Pilgerpastor der Nordkirche steht an diesem frühen Abend mit Pilgerstab und Wanderschuhen am Rande des Hamburger Stadtparks und zählt seine Gruppe durch. 25 Teilnehmer sind zur „Rauswege“-Tour gekommen, einer Art Feierabendpilgern durch den Park – dort, wo die Hamburger sonst gern grillen, Beachvolleyball spielen oder im See baden. Was Lohse besonders freut: Für neun Leute aus der Gruppe ist die zweistündige Tour eine Premiere.
Bernd Lohse ist Pastor an der Hauptkirche St. Jacobi, an die das Pilgerzentrum angedockt ist. Er bietet das Pilgern im Stadtpark in Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden an, die an den Park grenzen. Jedes Mal führt ein Geistlicher dieser Gemeinden die Gruppe an. Pilgersaison ist das ganze Jahr, im Sommer jeden Mittwoch und im Winter einmal pro Monat an einem Sonnabend – jedes Mal wird eine andere Route eingeschlagen.
Lieder unterstreichen den spirituellen Charakter
Schon nach ein paar Hundert Metern legt Lohse den ersten Stopp ein. Den Straßenlärm kann man kaum noch hören, ein paar Vögel zwitschern auf den Bäumen. In den richtigen Entspannungsmodus sollen die spirituellen Wanderer mit einem Lied kommen: „Ausgang und Eingang, Anfang und Ende“ aus dem Evangelischen Gesangbuch. Und es ist ein bisschen so wie bei einem Gottesdienst. Einige singen kräftig mit, andere versuchen es wenigstens, und manche schauen lieber verlegen zu Boden.
Mitgesungen haben vor allem die Stammgäste unter den Teilnehmern. Sieben von ihnen sind sogar schon mehr als zehn Mal durch den Stadtpark gepilgert. Eine von ihnen ist Lieselotte Menzer, die sonst an der Elbe oder über die Harburger Berge wandert. „Ich bin hier mitten in der Natur“, sagt sie. „Schöner geht’s doch eigentlich nicht.“ Außerdem würden sie solche Abende fit halten, sagt die 83-Jährige. Heute ist sie aus einem besonderen Grund hier. Sie sei noch nie mit dem Pilger-Pastor selbst gelaufen, das wolle sie nachholen. Ihr bisheriger Eindruck: „Er macht das richtig gut!“
Eine Erfolgsgeschichte von der ersten Tour an
Der so gelobte Pastor hat sich unter einen Baum gestellt und spricht ein Körpergebet. Er fordert dazu auf, den eigenen Körper intensiv zu spüren und tief einzuatmen. Nach dem „Amen“ verstreichen ein paar Sekunden, bis die Gruppe wieder aktiv wird. Von einem Mammutbaum, unter dem man gebetet habe, spricht Lohse. Doch aus der Gruppe regt sich Widerstand. „Stimmt nicht!“, sagt Sabine Rusch. Das sei ein Chinesisches Rotholz, der gern auch als Urwelt-Mammutbaum bezeichnet werde. Sie muss es wissen. Die Pensionärin hat früher als Botanikerin gearbeitet und pilgert jetzt gern durch Hamburg.
Ein Erfolg ist das Pilgern durch den Park von Anfang an gewesen. Zum 100. Geburtstag des Stadtparks im Sommer 2014 entwarfen der Kirchenkreis Hamburg-Ost und der ökumenische Verein „Andere Zeiten“ einen etwa sechs Kilometer langen Weg mit 22 Stationen durch Hamburgs grüne Lunge. Dazu gehörte die Broschüre „Rauswege“, die die Pilgerroute beschrieb. Geschäfte und Einrichtungen rund um den Park boten sie kostenlos an. Doch inzwischen ist das Heft vergriffen.
Für eine weitere Auflage sieht es schlecht aus. „Uns fehlt ein Sponsor“, so Lohse. Doch auch ohne die Broschüre kommen regelmäßig etwa 20 Pilgerfans in den Park. Bei der Premiere im Sommer 2014 waren mehrere hundert Teilnehmer dabei, erinnert sich Lohse.
Natur bewusster wahrnehmen
Heute steht die Gruppe im Halbkreis auf der großen Festwiese. „Ein wunderbarer Ort!“, ruft Lohse und erinnert daran, wie hier der Abschlussgottesdienst des Hamburger Kirchentags gefeiert wurde. Zehntausende Gläubige seien dabei gewesen, das Abendmahl wurde an 40 Tischen gereicht. „Und hinterher sah der Rasen wunderschön grün aus“, sagt der Pilgerpastor. Dann aber seien die Rolling Stones gekommen. Die Rockband gab im September 2017 ein Konzert auf der Wiese, und hinterher waren große Teile für lange Zeit abgesperrt. Doch jetzt grünt der Rasen wieder. „Ein Zeichen dafür, wie gnädig die Schöpfung ist“, sagt Lohse.
Nach der letzten Station, dem Labyrinth neben der Festwiese, steht Volker Höinghaus da und schüttelt den Kopf. „Zu christlich“ sei ihm das gewesen, sagt er. Dabei sei es eigentlich eine gute Art, um ein bisschen runterzukommen, so der Marketingfachmann. Ausschließen, dass er noch mal auf Pilgertour zum Feierabend geht, will er aber auch er nicht.
Pilgern durch den Hamburger Stadtpark. Bis Ende September jeden Mittwoch um 18.30 Uhr. Treffpunkt ist an der Ecke Otto-Wels-Straße/Grasweg. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, die Teilnahme ist kostenlos.