„Ich bin gerne draußen und mag es, in einer Gruppe unterwegs zu sein“, schallt es aus dem Sprachcomputer von Schülerin Marlene. Marlene kann aufgrund einer Behinderung nicht selbst sprechen und wird beim Laufen schnell müde. Sie hat an der Stephen-Hawking-Schule im baden-württembergischen Neckargemünd das Fach „Pilgern“ belegt, das zunächst als Projekt geplant war.
Von 2014 bis 2021 haben Schülerinnen und Schüler an der Privatschule für körperbehinderte und nicht behinderte Kinder und Jugendliche zusammen mit Lehrerin Claudia Hanko einen inklusiven Pilgerweg erarbeitet, den 84 Kilometer langen „Camino Incluso“. Er führt von Bensheim-Auerbach im hessischen Odenwald nach Heidelberg in Baden-Württemberg.
Pilgern mit Gelände-Rollstuhl ist kostspielig
Pilgern gilt als spirituelle Auszeit vom Alltag, doch für Menschen mit Behinderungen ist das Pilgern mit großen Hürden verbunden. Marlene setzt sich in einen motorisierten Gelände-Rollstuhl. „Hiermit fahre ich auf den Pilgerwegen, wenn ich nicht mehr laufen kann“, erklärt sie über ihr Sprachprogramm.
So ein Elektro-Rollstuhl fürs Gelände ist allerdings ein seltener Luxus. Das rund 30.000 Euro teure Gefährt hat der Naturpark Heidelberg der Schule bereitgestellt, um es auf dem „Camino Incluso“ zu testen. Der Naturpark selbst will in Zukunft solche E-Rollis verleihen.
Pilgerweg “Camino Incluso” ist barrierearm
Für den inklusiven Pilgerweg braucht man diesen Rollstuhl allerdings nicht. Jahrelang hat Lehrerin Claudia Hanko zusammen mit Schulklassen Wege vermessen, barrierefreie Toiletten und Unterkünfte überprüft und die Strecke mit Rollstühlen auf Wegbeschaffenheit und Steigung getestet. Hanko hatte damals auch die Idee für den inklusiven Pilgerweg: „Unsere Schüler sitzen viel drinnen, und wir wollten sie einfach mal rausbringen.“ Bei dem Projekt sollten die Schülerinnen und Schüler die Natur und Spiritualität entdecken.
Offiziell eröffnet wurde der Pilgerweg 2021. Das Projekt wird durch das baden-württembergische Ministerium für Soziales und Integration gefördert und vom Verein Odenwaldklub unterstützt.
Am besten im Team pilgern
Der Pilgerweg führt durch den Odenwald, über die Neunkircher Höhe, an Weinbergen vorbei und durch einige kleine Ortschaften. Die Etappen, zwischen 8 und 17 Kilometer lang, sind so angelegt, dass sie für Menschen im Rollstuhl machbar sind. „Manchmal können die Etappen alleine schwierig werden“, sagt Claudia Hanko. Sie empfiehlt, sich in Teams auf den Weg zu machen, vor allem, wenn man keine Erfahrung mit dem Pilgern habe. Bewährt hätten sich Gruppen von einer Person im Rollstuhl und drei Menschen zu Fuß. Die Etappen seien an den öffentlichen Nahverkehr angebunden und verfügen alle über barrierearme Toiletten, Rastplätze und Übernachtungsmöglichkeiten.

Karten mit Informationen zu Steigungen, Untergründen und Servicepunkten gibt es als PDF oder in der Outdoor-App „Komoot“. Das Symbol des Weges ist ein gelbes Säckchen. Die gesamte Wegbeschreibung haben die Schülerinnen und Schüler auch in leichter Sprache ausgearbeitet. Für Menschen, die sich nicht über Worte verständigen können, hat Schülerin Tabea eine Kommunikationstafel zusammengestellt. Tabea sitzt im Rollstuhl und spricht, wie Marlene, über einen Sprachcomputer. Auf der Kommunikationstafel sind 66 Symbole zu sehen. Menschen können durch das Zeigen auf die Symbole auch ohne Worte miteinander kommunizieren.
Andachten nach Anmeldung möglich
Die Schüler gestalteten außerdem Pilgerpässe, schrieben Karten mit Tipps für den Weg und bastelten Stempel für die 21 Pilgerstationen unterwegs. An den einzelnen Stationen können Pilger mit vorheriger Anmeldung auch an Andachten teilnehmen. Aus dem Projekt ist ein eigenes Schulfach „Pilgern“ entstanden, bei dem die Schülerinnen und Schüler auch selbst auf dem „Camino Incluso“ pilgern gehen. Die Andachten leiten Pfarrpersonen aus der Umgebung oder Ehrenamtliche aus, die Anfragen zu den Andachten leiten die jeweiligen Gemeindebüros an sie weiter. Bei den 21 Pilgerstationen können sich die Teilnehmenden einen Stempel für ihr Pilgerheft abholen. Die Stationen sind Gedenkorte, Wegkreuze, Kapellen und Kirchen.
