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Papst Franziskus besucht Frankreichs älteste Stadt

Papst Franziskus macht nie Urlaub. Auch wenn er Ende September, zu schönster Reisezeit, die Hafenstadt Marseille besucht, geht es ihm nicht um Pastis oder Fischsuppe – sondern um Migration und Miteinander am Mittelmeer.

Papst Franziskus macht nie Urlaub. Auch wenn er Ende September, zu schönster Reisezeit, die Hafenstadt Marseille besucht, geht es ihm nicht um Pastis oder Fischsuppe – sondern um Migration und Miteinander am Mittelmeer.

Immer wieder streicht es Papst Franziskus heraus: Er besuche ein religiöses Treffen in Marseille – nicht aber Frankreich als Land! Was bedeutet das? Nun, zunächst mal: Es geht ihm um das Thema Migration und interkulturelle Verständigung im Mittelmeerraum. Und zweitens: Die großen Länder Europas dürfen ruhig weiter auf mich warten. Mein Fokus liegt auf den Kleinen, auf den Rändern.

Dafür steht Marseille nämlich auch: Frankreichs älteste und zugleich zweitgrößte Stadt hat einen enormen Migrationsanteil. 90 Prozent der heutigen Stadtbevölkerung haben Vorfahren, die nicht aus Frankreich stammen. Ein Ruf namhafter Kriminalität eilt Marseille voraus.

Doch “Massilia”, einst Gründung griechischer Seefahrer und 2013 Europas Kulturhauptstadt, hat sich auch gemausert, hat an einem Image als Stadt mit Charme gearbeitet. Stadtvillen in bester Lage wurden zu Hotels ausgebaut oder aufwendig renoviert. Ehrgeizige Prestigeprojekte haben die Stadteinfahrt an der Seeseite aufgewertet.

Marseille modern: Die Docks, die heruntergekommene Speicherstadt am Hochseehafen, wurden unter dem Titel “Euromediterranee” großflächig abgerissen oder umgebaut. Neue Verkehrswege, Parks, Schulen, Freizeitanlagen sind entstanden; ebenso ein topmodernes Europa-Museum, das die Geschichte des Kontinents aus der Perspektive des Mittelmeerraums in den Blick nimmt.

Marseille, vor rund 2.600 Jahren gegründet, will in großem Stil Zukunft abbilden – und ist doch irgendwie auch gemächlich geblieben. Es ist noch zu spüren, dass hier 111 Dörfer zu einer Metropole von 240 Quadratkilometern und rund 870.000 Einwohnern zusammengewachsen sind. “Vormittags sind wir langsam – und nachmittags sind wir dann nicht so schnell”, sagen sie in der Hauptstadt der Niedrigtemperatur-Fischsuppe, der “Bouillabaisse”. Allerdings nur über sich selbst; anderen würden sie es übelnehmen.

Diese mediterrane Mentalität spiegelt sich auch in der Brauchtumspflege und in einer tiefen, für Großstadtmenschen ungewöhnlich ungebrochenen Religiosität. “La Bonne Mere”, die gute Mutter, nennen die Marseillais ihr Wahrzeichen Notre-Dame de la Garde, das in 154 Metern Höhe über die Stadt wacht. Mehr als zwei Millionen Menschen jährlich besuchen die Marienkirche aus dem 19. Jahrhundert mit der vergoldeten Madonna als Turmspitze. Und die wenigeren davon sind Touristen, die von hier die prächtige Aussicht genießen.

Im schmuck gestreiften Inneren beten vor allem die Einwohner selbst: um Schutz und Beistand, für Prüfungen und bei Krankheit – oder auch nur um einen Sieg von “Olympique”, dem ortsansässigen Fußballclub – in dessen schickem Stadion “Velodrome” Papst Franziskus seine große Messe feiern will. Hier, wo die Stadt in ihrer ganzen Vielfalt vereint sei, so meint der örtliche Erzbischof und Kardinal Jean-Marc Aveline, sei es, als ob der Papst jeden Marseillais zuhause besuche.

Ein weiterer, aber ganz anderer Tempel der Moderne: Der legendäre Schweizer Architekt Le Corbusier (1887-1965) konzipierte schon seit den 1920er Jahren Stapelhäuser für den modernen Menschen, genannt “Wohneinheiten” (Unites d’Habitation). Serienbauten mit genormten Einzelteilen, die alle Funktionen einer Stadt unter einem Dach vereinigen sollten. Insofern die Vorläufer der Nachkriegs-Plattenbauten.

Das Innere von Le Corbusiers “Cite radieuse” (1947-1952) in Marseille ist so faszinierend wie verstörend: ein Koloss, eine “Wohnmaschine”, uniform und emotional entseelt. Man kann darin den Willen erkennen, vielen Menschen zugleich einen möglichst großen Wohnkomfort zu ermöglichen. Vertraute Le Corbusiers aus Vichy-Zeiten sahen darin allerdings auch eine “Umsetzung des faschistischen Programms”.

Und a propos Faschismus: Auf die Deutschen sind die Marseillais nicht allzu gut zu sprechen. Seit November 1942 war die Stadt von deutschen Truppen besetzt. Nach Großrazzien gegen Juden und Emigranten zerstörte die Wehrmacht am 24. Januar 1943 auf Anordnung von SS-Führer Heinrich Himmler das Altstadtviertel am Alten Hafen. 1.400 Gebäude wurden gesprengt und nur die erste Häuserreihe am Quai verschont. Heute ankern hier vor allem Luxus-Yachten und das, was von der traditionellen Fischereiflotte übrig geblieben ist.

Das Tor zur Welt – und größter Hafen des Mittelmeers – ist inzwischen der Hochseehafen “Marseille Europort”. Das vor allem ist wohl die Symbolik, die der Papst sucht.