Sterben und Tod werden noch immer gerne verdrängt. Zudem fehlt Angehörigen oft die Erfahrung, wann man einen Palliativdienst einschalten sollte. Oft geschieht dies aus Expertensicht zu spät.
Wenn sich das Leben eines geliebten Menschen dem Ende zuneigt, möchte man das mitunter nicht wahrhaben. Deshalb wird ein Palliativdienst oft erst spät eingeschaltet. Mitunter bleiben nur noch wenige Stunden Lebenszeit – in einer ohnehin für die Angehörigen dramatischen Situation, beobachtet die Kölner Palliativexpertin Andrea Schaeffer. Viele von ihnen seien schockiert, wenn der Sterbeprozess schon weit fortgeschritten ist. Schaeffer sieht dies als “verpasste Chance”.
Sie rät, eine palliative Unterstützung “möglichst früh in die Versorgung zu integrieren – nicht erst in den letzten Lebenstagen”. Denn: “Die letzte Lebensphase beginnt viel früher”, sagt die Referentin für Hospizarbeit und Palliativversorgung und Prävention beim Erzbistum Köln. Menschen mit einer ernsten Diagnose und deren Angehörige sollten früh ein unterstützendes Netzwerk aufbauen und einen Palliativdienst einbeziehen. Auch ohne Pflegebedarf sollte man sich schon frühzeitig über eine mögliche palliative Unterstützung informieren, sagt Schaeffer. Die Verantwortung auf viele Schultern verteilen und Palliativfachkräfte an seiner Seite zu wissen, sei am Lebensende eine “Riesenchance”.
Zugleich weiß die Expertin, dass die Perspektive “palliativ” für viele ein “Schreckensmoment” sei. Dabei sollen Palliativdienste mit ihrem ganzheitlichen Ansatz Sterbende und ihre Angehörige entlasten. Es gehe dann nicht mehr um Heilung, sondern um die Linderung von Leiden. Eine palliative Begleitung möchte Sterbende “mit einem schützenden Mantel umhüllen”, so die Übersetzung des lateinischen Begriffs palliare. Selbstbestimmtheit und Würde des Patienten sollen gewahrt, die Lebensqualität erhalten und verbessert werden. Das betrifft sowohl körperliche, psychische und soziale Aspekte wie auch spirituelle Bedürfnisse.
Und: Auch die An- und Zugehörigen werden dabei ganzheitlich begleitet, betont Schaeffer. Mehr noch: Bis zu 70 Prozent der Palliativarbeit dreht sich um diese Menschen. “Manchmal ist der Patient schon viel weiter in der Verarbeitung seiner Situation als sein Umfeld.” Auch ist es aus Erfahrung der Expertin wichtig, mit Angehörigen gut im Gespräch zu sein und sie bei der Begleitung des Sterbenden einzubinden und mitzunehmen.
Denn am Lebensende verändere sich der Körper, was den Umstehenden Angst machen kann. So habe ein Mensch in seiner letzten Lebensphase veränderte Bedürfnisse, wolle beispielsweise nichts mehr essen und kaum noch trinken. Auch verändere sich die Atmung, der Mensch werde mitunter unruhig, sei verwirrt oder ängstlich. Diese Dinge einordnen zu können, entlaste die ihm nahestehenden Menschen.
Mitunter kann die ambulante Begleitung eines Sterbenden pflegende Angehörigen aber auch überfordern. Zwar wünschten sich viele Menschen, zu Hause sterben zu dürfen. Dennoch sollte auch der Umzug in ein auf die ganzheitliche Betreuung Sterbender spezialisiertes Hospiz in Betracht gezogen werden. Auch für Menschen ohne soziales Netz kann ein Hospiz zu einem unterstützenden letzten zu Hause werden, sagt Schaeffer. Der Hausarzt könne das mit einer Hospiz-Notwendigkeitsbescheinigung in die Wege leiten.
Im Schnitt werden Menschen in einem stationären Hospiz drei Wochen bis zu ihrem Tod umsorgt. Schaeffer weiß um den irreführenden Gedanken “Jetzt bin ich ja palliativ, jetzt wird nichts mehr gemacht”. Die Expertin stellt klar – ob im vertrauten Umfeld oder im Hospiz: “Es kann noch viel gemacht werden für die Person”.
Schaeffer ist ohnehin dafür, Menschen an ihrem Lebensende in ihrem vertrauten Umfeld zu begleiten. Laut der Umfrage “Sterben in Deutschland” aus dem Jahr 2022 wünschen sich das 50 Prozent, weitere 21 Prozent möchte ihre letzten Lebenstage in einer Einrichtung der Sterbebetreuung verbringen. Tatsächlich aber sterben 44 Prozent aller Menschen im Krankenhaus und 34 Prozent zu Hause.
“Wir brauchen nicht mehr stationäre Hospize und kein ‘Sterben-de-Luxe’ im Hospiz”, erklärt die Palliativexpertin, “die Menschen sollen da, wo sie leben, gut versorgt werden.” Eine wichtige Rolle können dabei ehrenamtliche Mitarbeiter ambulanter Hospizdienste spielen. Allein in Nordrhein-Westfalen, das damit im Bundesvergleich einzigartig sei, gebe es rund 15.000 solcher ehrenamtlichen Unterstützer, die Menschen am Lebensende und deren Angehörige zu Hause beraten und Optionen aufzeigen. “Ohne diese Ehrenamtlichen würde die Hospizidee nicht funktionieren.”
Diese Menschen tragen auch dazu bei, dem Gedanken an palliative Unterstützung seinen Schrecken zu nehmen. Ein wichtiger, nicht unerheblicher Aspekt: ob hausärztliche palliative Versorgung, spezialisierte ambulante Palliativversorgung durch Teams aus Pflege und Medizin, der Aufenthalt in einem stationären Hospiz oder die Begleitung durch Ehrenamtliche eines ambulanten Hospizdienstes – all diese Leistungen sind kostenfrei und können von jedem beansprucht werden.