Annett Schrank liebt die Schönheit Roms, doch der Massentourismus macht das Leben in der Ewigen Stadt immer schwieriger. Als Stadtführerin versucht sie, Alternativen zu schaffen – und ihre Gelassenheit nicht zu verlieren.
Annett Schrank, 45, liebt ihre Stadt: “Ich mag das Chaos, das Laute, dass man 20 Dellen an seinem Auto hat, die Herzlichkeit morgens in der Bar beim Espresso”, sagt die Römerin, die ursprünglich aus Glauchau in Sachsen kommt. Schrank lebt nun seit fast 20 Jahren – der Liebe wegen – in der Hauptstadt Italiens. Als “Deutsche Römerin” bietet die 45-Jährige seit 2015 Stadtführungen für deutschsprachige Touristen in Rom an. Trotz ihres Berufs hadert sie mit dem Massentourismus in der “Ewigen Stadt”. “Ich wünsche mir mehr Qualität statt Masse”, sagt Schrank.
Erst vergangenes Jahr hat Rom seinen eigenen Rekord gebrochen: 35 Millionen Touristen besuchten die Stadt – oder muss man sagen: hetzten durch sie hindurch und an Sehenswürdigkeiten vorbei? Denn tatsächlich staut es sich längst allerorten: Wer wie Christian R. in diesem Spätsommer etwa die Vatikanischen Museen mit der Sixtinischen Kapelle besuchen wollte, der konnte die Kunstwerke nur im Weitergeschubstwerden bestaunen. “Das war absurd. Die Museumsmitarbeiter haben die Menschen durch die Kapelle gescheucht und die ganze Zeit gerufen, dass man nicht stehen bleiben soll”, berichtet der Kölner, der das erste Mal in Rom war.
Der erhoffte Kunst- und Kulturgenuss der meisten Touristen leidet. Und offenbar auch Angestellte der Vatikanischen Museen, die dieses Jahr erstmals den Aufstand probten. Sie drohten ihrem Dienstherrn, dem Vatikanstaat, mit einer Sammelklage und bemängelten schlechte Arbeitsbedingungen. Unter anderem gehört dazu, so der Vorwurf, dass die Höchstgrenze von täglich 24.000 Besuchern in den Museen um Tausende Menschen überschritten werde.
Für Annett Schrank bedeutet dieser Massen-Andrang, sich immer früher um Eintrittskarten für “ihre” Touristen bemühen zu müssen. Für Sehenswürdigkeiten in Rom müssen Tickets meist Monate im Voraus gebucht werden, besonders bei den Vatikanischen Museen sei es eine “Katastrophe”, sagt die 45-Jährige. Zwei Monate lang hat sie sich in diesem Jahr stündlich einen Wecker gestellt – auch nachts -, um an Eintrittskarten zu kommen. “Dafür musste ich zwischendurch ins Kinderzimmer ziehen”, berichtet sie. Dennoch, sagt Schrank tapfer: “Es ist ein Kampf um Tickets, aber man gewöhnt sich daran.”
Medienberichten zufolge verzeichnen die Museen jährlich rund 6 Millionen Eintritte und sind damit in der Kategorie Museen weiterhin der Spitzenreiter auf der italienischen Halbinsel. Das mit Abstand meistbesuchte Ziel in Rom war vergangenes Jahr aber das Kolosseum mit 12,3 Millionen zahlenden Besuchern. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Steigerung um mehr als 25 Prozent.
Auch die Touren der “Deutschen Römerin” kommen in der Regel nicht ohne diese Highlights aus. “Die Museen und das Kolosseum sind mit Abstand das am meisten Gefragte”, berichtet die Stadtführerin. Schrank kam aber partout nicht mehr an Eintrittskarten für das Kolosseum heran und bot stattdessen eine Antike-Tour an, samt Forum Romanum und Palatinhügel. “Das lief gut”, freut sie sich.
“Wir versuchen, den Touristen Alternativ-Touren schmackhaft zu machen, aber das funktioniert häufig auch nicht”, erklärt sie. Denn wer nach Rom kommt, will meist das volle Programm. Die Stadt ächzt unter dem Ansturm, die Stadtverwaltung erwog bereits Gebühren für den populären Trevi-Brunnen. Schrank ist eher dafür, die Preise für in sich geschlossene Besuchermagneten wie das Kolosseum anzuheben, denn der Trevi-Brunnen gehöre zum Stadtbild dazu. Und Schrank findet: “Man muss teils härter durchgreifen, die Menschen erziehen.”
Sie glaubt, die Beziehung der Römer zu den Touristen bleibe eine Hass-Liebe: Einerseits leben viele der Einwohner Roms von den Touristen, andererseits bringen sie die Probleme mit, unter denen auch die Einheimischen auf Mallorca oder in Barcelona leiden: Lärm, Müll, Stress. “Es ist voll, alles ist sehr schnell. Als Familie wird man mehr oder weniger aus der Stadt verdrängt”, sagt Schrank. Besser wird es absehbar nicht. Wie Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri mitteilte, wird Rom Ende dieses Jahres schon 50 Millionen Übernachtungen verzeichnen, die durchschnittliche Verweildauer stieg von 2,3 auf 4,1 Tage. Schrank beobachtet derweil, dass es auch für die Besucher immer gehetzter wird.
“Reisen ist viel einfacher geworden. Die Leute arbeiten viel, sind gestresst, und fahren dann schnell zwei, drei Tage irgendwohin”, sagt die Unternehmerin. Jedoch: “Sie wollen alles herausholen und kommen oft schon gehetzt zu den Touren.” Weil sie so viel selbst und online organisieren und buchen müssten, seien die Kurzurlauber oft überlastet anstatt entspannt. Die Stadtführerin wünscht sich, dass Menschen weniger schnell, viel und billig verreisten, dafür mit mehr Zeit und Qualitätsbewusstsein. Für Auswüchse wie die, dass schon Kindergartengruppen oder fünfte und sechste Klassen nach Rom reisten, hat sie kein Verständnis: “Was soll das?”
2025 feiert die Katholische Kirche nun das Heilige Jahr in Rom – und erwartet zusätzlich zu den üblichen Touristen 32 Millionen Pilger aus aller Welt. Im vorherigen Heiligen Jahr im Jahr 2000 waren es noch deutlich weniger – 22,5 Millionen -, die am Petersdom die Heilige Pforte durchschritten. Die Stadt bereitet sich derzeit mit hunderten Baustellen auf das Mega-Event vor – für Touristen blieben dieses Jahr daher viele Sehenswürdigkeiten hinter Bauzäunen versteckt.