Papst Franziskus hat kürzlich einen von seinem Vorgänger abgelegten Titel wiederbelebt. Ein ermutigendes Zeichen für die Ökumene, finden viele Theologen. Doch ein orthodoxer Wissenschaftler aus Wien hat Fragen.
Der Wiener orthodoxe Theologe Ioan Moga wertet die Wiederaufnahme des Titels “Patriarch des Abendlandes” durch Papst Franziskus eher skeptisch. “Ein historischer Titel wird wiedereingeführt – aber ohne Absichtserklärung, ohne Deutung”, sagte der Professor für Orthodoxe Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien der Presseagentur Kathpress (Dienstag). “Ein später, unerklärter Verzicht auf den unerklärten Verzicht”, so Moga, der findet: “Ökumene verdient mehr.”
Der ökumenisch gesinnte Papst Benedikt XVI. (2005-2013) hatte den Titel “Patriarch des Abendlandes” 2006, im ersten Jahr seiner Amtszeit, aus der Liste der Papsttitel streichen lassen und damit Irritationen bei den Kirchen des Ostens ausgelöst. Franziskus hat ihn vor rund zwei Wochen wieder eingeführt.
Moga erläuterte, das Problem beim Verzicht 2006 sei nicht der Verzicht an sich gewesen, sondern die fehlende Erklärung: “Das hat vor allem irritiert. Jeder konnte das unterschiedlich deuten, weil der Verzicht ein Deutungsvakuum hinterließ.” Benedikt XVI. habe damals wie auch später keinen Grund gehabt, die Orthodoxen zu brüskieren. Dasselbe Problem habe man aber auch heute mit der schweigenden Wiederaufnahme des Titels, so Moga.
Der in Siebenbürgen geborene Theologe verwies darauf, dass der Titel “Patriarch des Abendlandes” schon davor in der orthodox-katholischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt habe; und: “Das Problem war und ist das Jurisdiktionsprimat. Das bleibt, mit oder ohne symbolische Titel, nach wie vor offen.”
Er habe 2006 die Aufregung unter einigen orthodoxen Theologen nicht verstanden, sagte Moga, denn: “Ein Relikt aus der Vergangenheit, das in der römisch-katholischen Ekklesiologie keine Relevanz mehr hat, darf bei einer ernsten ökumenischen Diskussion nicht überschätzt werden.”
Das ins Gespräch gebrachte antike Modell der Pentarchie [“Fünf-Herrschaft” der Patriarchen von Rom, Konstantinopel, Alexandria, Antiochien und Jerusalem; d. Red.] entspreche “selbst in der orthodoxen Kirche nicht mehr einer Realität, sondern sei lediglich ein Referenzpunkt für die Kirchengemeinschaft im ersten Jahrtausend, so Moga. “Bloße Titelverzichte oder -Wiederaufnahmen werden uns an dieses altkirchliche Modell nicht näherbringen. Das wissen wir aus dem bisherigen Dialog. Es geht immer darum, was die jeweilige Kirche darunter versteht”, sagte der Theologe weiter.
Während die aktuellen Patriarchentitel in der orthodoxen Kirche einer kirchenrechtlichen Realität entsprächen, sei der Titel “Patriarch des Abendlandes” letztendlich eine Hülse, findet Moga: “Was bedeutet ‘Abendland’ aus kirchenrechtlicher bzw. ekklesiologischer Sicht? Wer gehört zu diesem Abendland dazu? Fühlen sich damit römisch-katholische Christinnen und Christen in Afrika und Asien angesprochen? Wenn nicht, dann zu welchem ‘Patriarchat’ gehören diese? Was machen wir dann mit ‘Südamerika’?”
Den Titel “Patriarch des Abendlandes” auf den römischen Ritus zu beziehen, halte er ebenfalls für problematisch, so Moga. Zusammenfassend sehe er in der Wiederaufnahme des Titels durch Papst Franziskus auch kein ökumenisches Zeichen Richtung Orthodoxie bzw. Richtung Ostkirchen.
Ein viel stärkeres Signal stamme für ihn dagegen aus dem Jahr 2020, als im päpstlichen Jahrbuch (“Annuario Pontificio”) erstmals der Titel “Stellvertreter Jesu Christi” – laut Moga ein “ekklesiologisch und theologisch sehr problematischer Titel, den die Orthodoxie traditionell kritisiert hat” – unter der neuen Rubrik der “historischen Titel” gelistet war. Die Einfügung der Kategorie “historische Titel” zeige die Distanz des heutigen Papstes Franziskus zu dieser Titulatur, so Moga: “Das war und das ist zu begrüßen.”