Der Sonntag kann so herrliche Namen haben. Kantate zum Beispiel. Das ist Latein und bedeutet: Singt! Oder Rogate: Betet! Jubilate: Jubiliert! Die Menschen haben im Laufe der Zeit viel Fantasie und Einfallsreichtum bewiesen, als es darum ging, die gut 50 Sonntage im Jahr zu benennen. Warum sie das taten? Sie wollten eine feste, immer wiederkehrende Ordnung schaffen – das Kirchenjahr.
Allgemein bekannt von diesen Bezeichnungen dürften Ostern und Pfingsten sein; auch der Ewigkeits- oder Totensonntag. Aber es gibt ausgefallenere Namen. Etwa Quasimodogeniti (wie die neugeborenen Kinder). Oder Misericordias Domini (die Barmherzigkeit des Herrn). Neckisch, weil zu Missverständnissen einladend, Exaudi (hat nichts mit der Automarke zu tun).
Nach „Trinitatis“ kommen nur noch Zahlen
Ab einem bestimmten Punkt scheinen den Sonntagsnamen-Machern allerdings die Ideen ausgegangen zu sein. Das erkennt man, wenn man etwa auf die Titelseite der gedruckten „Unsere Kirche“-Ausgabe schaut. Dort steht oben rechts Woche für Woche der Name des jeweiligen Sonntags. Und da liest man beispielweise für die Ausgabe 23: 1. Sonntag nach Trinitatis. Eine Woche später wird dort stehen: 2. Sonntag nach Trinitatis. Und so geht das fort bis zum 3. November; der heißt dann: 23. Sonntag nach Trinitatis.
23 Sonntage, zu denen den Menschen offenbar keine Namen mehr eingefallen sind. Also hat man einfach durchnummeriert. Ein dröger Ersatz. Aber immerhin: So konnte die Ordnung im Kirchenjahr aufrechterhalten werden. Denn Ordnung ist wichtig. Ohne sie versinkt das Leben im Durcheinander. Schon bei der Schöpfung verwandelte Gott die Unordnung („Chaos“) in Ordnung. Er sortierte, teilte ein, schuf feste Abläufe nach Sonnen-, Mond- und Erddrehungen.
Ohne Ordnung versinken wir im Durcheinander
Und die Menschen haben diese Ordnung fortgeführt. Sie schafften es, das Leben viel straffer durchzuorganisieren, als der Schöpfer es sich wohl hätte träumen lassen. Erfanden Kalender und Wettervorhersage. Erschufen Staaten und Städte, Strafrecht und Steuerklassen. Das Periodensystem der Elemente. Uhren messen die Zeit bis auf den Bruchteil einer Sekunde. Und wenn ein Mensch dem anderen einen Vogel zeigt, dann ist das nicht einfach ein Spatz, sondern der Passer domesticus (zoologischer Name), Art: Haussperling, Gattung: Passer, Familie: Sperlinge (Passeridae), Unterordnung: Singvögel (Passeri), Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes), Unterklasse: Neukiefervögel (Neognathae).
Auf der anderen Seite tun sich die Menschen oft schwer mit der Ordnung. Lästig, mühsam kann sie sein. Dann will man fünfe gerade sein lassen. Termine aufschieben oder Notwendiges liegen lassen. Deutlich sieht man das bei Kindern: Sie wollen ihr Chaos aus Klamotten und Spielsachen nicht aufräumen, sind oft auch durch gutes Zureden nicht dazu zu bewegen, Ordnung zu halten. Aber im Laufe des Lebens lernt man, dass es ohne Ordnung nicht geht. Oder: dass es mit Ordnung deutlich besser geht.
Regeln sollen für den Menschen gemacht sein – sagt Jesus
Ordnung kann aber auch das Leben behindern. Darauf weist Jesus hin, wenn er in der Bibel sagt, die Ordnung sei für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für die Ordnung. Es kommt nicht immer auf den Buchstaben des Gesetzes an, sondern auf den tieferen Sinn, den Geist, die Absicht, die dahintersteckt. Gerade in der Rechtssprechung vor Gericht kann man erleben, dass zu viel formale Ordnung nicht immer dem konkreten Einzelfall gerecht werden kann. Es gibt auch religiöse Vorschriften, die im Laufe der Zeit ihren Sinn verlieren (etwa 3. Mose 19,19: Lege kein Kleid an, das aus zweierlei Faden gewebt ist).
Es gibt auch Menschen, die sich so sehr in die Ordnung verlieben, dass diese Liebe zwanghaft wird. Der Nachbar, der herumläuft und Kennzeichen von Autos aufschreibt, die falsch parken – nicht, weil sie ihn behinderten, sondern weil es ihn grundsätzlich stört, dass jemand die Ordnung nicht einhält. Andere empfinden es als Bedrohung, wenn Kugelschreiber und Servietten nicht genau abgezirkelt auf dem Tisch liegen.
Manchmal muss die Ordnung angepasst werden
Eine gute Ordnung zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie sich ändern lässt, wenn Zeit oder Umstände nicht mehr passen. Das Grundgesetz, bewährt als gute Ordnung, ist in den 75 Jahren seines Bestehens mehr als 60 Mal geändert worden. Und die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen soll jetzt auf den Prüfstand, damit sie in den kommenden Jahren angepasst und geändert werden kann.
Ordnung muss sein. Aber das heißt nicht, dass man sie nicht ändern dürfte. Vielleicht wäre es ja an der Zeit für einen Wettbewerb der Ideen: Wie lassen sich die Bezeichnungen der Sonntage nach Trinitatis einfallsreich gestalten? 23 Namen, kreativ und originell, wären noch zu vergeben.