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Nur nicht auffallen in Goma

Mitten im Kugelhagel musste Claudine Mwema ihre Hütte verlassen, um nach Trinkwasser zu suchen. „Es lagen überall Leichen, und es hat fürchterlich gestunken“, schildert sie den Anblick, der sich ihr in der kongolesischen Provinzhauptstadt Goma bot. Mwema heißt in Wirklichkeit anders, wie alle, die hier zu Wort kommen. Es herrscht Krieg im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Man muss aufpassen, was man sagt.

Vor einer Woche hat die Miliz „Bewegung des 23. März“ (M23) die Millionenstadt Goma eingenommen. Vier Tage lang wurde in den Straßen gekämpft. Jetzt kontrolliert die M23, die vom Nachbarland Ruanda mit Waffen und Soldaten unterstützt wird, die Stadt. Sie besetzt fast die ganze Provinz Nord-Kivu und damit auch die dortigen Coltan- und Kassiterit-Minen sowie den fruchtbaren Boden. Die Miliz will bis in die 1.800 km entfernte, kongolesische Hauptstadt Kinshasa marschieren und die Regierung stürzen. Nun hat die M23 eine einseitige Waffenruhe angekündigt. Ob und wie lange die Milizionäre sie einhalten, bleibt abzuwarten.

Das Rote Kreuz hat die Leichen inzwischen weitgehend weggeräumt. Es waren mehr als 700. Allein 400 Menschen kamen laut einer UN-nahen Quelle nach der Flucht der Wärter im Gefängnis ums Leben. Die Häftlinge vergewaltigten demnach 160 Insassinnen. Es brach ein Feuer aus. Alle Frauen und einige Männer verbrannten. Tausende Häftlinge sind ausgebrochen.

Insgesamt wurden beim Angriff auf Goma nach Angaben der Vereinten Nationen etwa 3.000 Menschen verletzt. Es gibt nicht genug Betten, zu wenig Medikamente und Verbandsmaterial in den Krankenhäusern. Die Ärzte arbeiten bis zum Umfallen.

„Mit Gottes Hilfe haben wir überlebt“, sagt der Lehrer Michel Kakule. Seine Hütte sieht mit all den Schusslöchern aus wie ein Sieb. Er muss neue Holzplanken finden, hat aber kein Geld. Sein Lohn wurde in den Kriegswirren nicht bezahlt. Und selbst wenn das Gehalt auf dem Konto wäre, käme Kakule nicht an Bargeld. Die Banken sind geschlossen, die Geldautomaten leer.

Nach den Kämpfen ist in Goma inzwischen Ruhe eingekehrt. Die Milizen, die mit der Armee gekämpft haben, sogenannte Wazalendo, sind vertrieben oder tot. Sie haben auf der Flucht eine Spur der Verwüstung hinterlassen, haben vergewaltigt, geplündert und Geschäfte demoliert. Danach folgte die Bevölkerung, nichts wurde verschont: Läden, Fabriken, Speditionen, sogar Warenlager von Hilfsorganisationen wurden ausgeraubt. „Dieser Staat hat sich nie um die Menschen gekümmert. Sie haben Hunger, es gibt keine Moral, und jetzt platzt das Ventil“, schimpft ein Unternehmer.

Die M23-Milizionäre gehen rabiat gegen Plünderer vor und erschießen sie kurzerhand – auch wenn sie ihnen die Waffe bereits abgenommen haben. Aber auch unschuldige Zivilisten werden getötet, denn manche Wazalendo haben junge Männer gezwungen, für sie die Waffe zu tragen. Das berichten zahlreiche Augenzeugen in Goma.

Zivilisten, in deren Gärten Wazalendo und Soldaten Waffen versteckt haben, schmeißen die Granaten und Gewehre lieber in den Kivu-See, statt sie wie gefordert auszuhändigen. Zu groß ist die Gefahr, der Kollaboration mit der gestürzten Regierung bezichtigt zu werden. „Dort unten ist jetzt wohl eines der größten Waffenlager in der Region“, sagt der Chef einer Sicherheitsfirma lachend.

Zugleich geben sich die neuen Machthaber als Kümmerer: Stromleitungen werden repariert, und das Internet funktioniert teilweise wieder. Als erste Amtshandlung hat die M23 „Salongo“ eingeführt. Wie in Ruanda muss nun die Bevölkerung am Samstagmorgen die Straßen säubern. Wer nicht spurt, kommt auf die schwarze Liste.

Mit Gegnern springt die M23 wenig zimperlich um. Eine Menschenrechtsaktivistin erzählt, dass sie zu Hause mit der Waffe bedroht wurde. Die Milizionäre kontrollieren offenbar auch Telefone auf „Feindpropaganda“. Zugleich erzählt man sich in Goma, die M23 stählen Autos und beschlagnahmten Anwesen regierungsnaher Personen.

Auch die Vertriebenen des seit Jahrzehnten andauernden Krieges im Ostkongo zwischen Armee und zahlreichen Rebellengruppen bekommen die neuen Machthaber zu spüren. Die Geflüchteten sollen aus den Lagern in Goma in ihre Dörfer zurückkehren, da die Lage nun befriedet sei. Doch das stimmt nur bedingt. Denn in der Provinz halten die Kämpfe an.

„Das Wichtigste ist jetzt, zu sehen, wo die Flüchtlinge hingegangen sind, und wie viele sie sind“, sagt Maurice Fleury, der den Einsatz einer europäischen Hilfsorganisation leitet. Die Verständigung mit der M23 sei „im Prinzip ganz gut“. Langsam nehmen die Hilfsorganisationen ihre Arbeit wieder auf.