In seinen jungen Jahren war Pedro Almodóvar der Star der Undergroundszene von Madrid. Mit schrillen Tragikomödien wie „Alles über meine Mutter“ eroberte er die Arthouse-Kinos in ganz Europa. Jetzt ist das ewige Enfant terrible im Seniorenalter: Am 25. September wird der spanische Regisseur 75 Jahre alt.
Nach wie vor liefert er fast jedes Jahr einen Film und ist immer für eine Überraschung gut. Mit dem neuen Werk „The room next door“ hat er sich einen Herzenswunsch erfüllt, seinen ersten englischsprachigen Film. Das Drama mit Tilda Swinton und Julianne Moore über zwei Freundinnen und das Sterben wurde auf dem Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Es gibt wohl keinen zeitgenössischen europäischen Regisseur, der ein so in sich geschlossenes Werk und eine so produktive und lang anhaltende Karriere vorweisen kann wie Pedro Almodóvar. Geboren 1949 in der Region La Mancha, ist er – wie sein Landsmann Miguel Cervantes, der den „Don Quijote“ erfand -, mittlerweile eine nationale Ikone. Nicht schlecht für den Sohn von Landarbeitern, der eine Klosterschule besuchte und seine ersten Filme heimlich drehen musste, um inmitten der Franco-Diktatur keinen Ärger zu bekommen.
Franco ließ die Filmhochschulen schließen, Almodóvars Schule waren Kinos, Cinemathek und learning by doing. Schon in jungen Jahren zog er nach Madrid. Tagsüber schlug er sich mit einem Job bei einer Telefongesellschaft durch, abends drehte er mit seinen Freunden Filme, schrieb Kurzgeschichten, spielte Theater und sang in einer Punkband. Nach Francos Tod 1975 wurde der offen schwule Künstler zu einer Ikone der „Movida“, jener Phase der Kulturrenaissance voll explodierender Kreativität nach dem Ende der jahrzehntelangen Diktatur.
Sein erster kommerzieller Langfilm, „Pepi, Luci, Bom und andere Mädchen aus dem Haufen“ (1980) handelt von einem Mädchen, das auf dem Balkon Marihuana anpflanzt und von einem Polizisten vergewaltigt wird. Zu seinen schrägsten Filmen aus jenen wilden Jahren zählt „Das Kloster zum heiligen Wahnsinn“ von 1983, in dem eine Bolero-Sängerin in ein Kloster flüchtet, dessen Nonnen mit Heroin dealen.
1988 feierte der Kultregisseur dann seinen Durchbruch mit der Komödie „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“, in der eine Frau ihrem Ex-Geliebten etwas sehr Wichtiges mitteilen muss und die Suche nach Nachmietern irre Verwicklungen nach sich zieht.
Für „Alles über meine Mutter“ bekam er im Jahr 2000 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. In dem Drama um eine Mutter, die nach dem Unfalltod ihres Sohnes nach dessen Vater sucht, geht es auch um Prostituierte, Transfrauen, eine lesbische Theaterdiva und eine aidskranke schwangere Nonne. 2003 folgte der Drehbuchoscar für „Sprich mir ihr“ über ein Mädchen im Koma und seinen Pfleger.
Almodóvar ist eingeschworener Independent-Regisseur, dessen Filme von seinem Bruder Agustín in ihrer Filmgesellschaft El Deseo produziert werden. Auch seine Mutter übernahm oft kleine Rollen. Zur Almodóvar-Kreis gehören Stammschauspielerinnen wie Carmen Maura, aber vor allem Penélope Cruz, die Heldin seines kommerziell erfolgreichsten Films „Volver“, sowie seine männliche Muse Antonio Banderas, dessen Karriere mit „Labyrinth der Leidenschaften“ begann. Diese Struktur erinnert, wie auch die Vorliebe für Paradiesvögel der Subkultur, an die Fassbinder-Familie.
Tatsächlich gehört der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) ebenso zu Almodóvars Vorbildern wie der ebenfalls von Fassbinder verehrte Douglas Sirk (1897-1987). In seinen Filmen zitiert der Spanier gerne in grotesk überzeichneter Weise Sirks Melodramen der 1950er Jahre. Doch stets gelingt es ihm, den Kitsch durch burleske Momente aufzulösen.
In einem cleveren Vexierspiel zwischen Tragik und Farce bringt er bei allen Überdrehtheiten das Publikum dazu, sich mit seinen „Drama Queens“ und ihren verzehrenden Leidenschaften zu identifizieren. Almodóvar, dessen Lieblingssujet Frauen in der Krise sind, ist ein Fan der Nobelpreisträgerin Alice Munro, in „Julieta“ verfilmte er Kurzgeschichten von ihr. Und in „Parallele Mütter“ setzt er sich mit auch mit der Franco-Diktatur auseinander.
Ein wiederkehrendes Thema bei Almodovar ist Transidentität. Die Frage, was eine Frau ist, durchzieht besonders die erotische Frankensteinfantasie „Die Haut, in der ich wohne“, in der Almodóvar wie so oft unbekümmert zu weit geht. Dass seine verstörenden Filme dennoch gute Laune erzeugen, liegt auch an der bunten Ästhetik, inspiriert von den satten Technicolor-Farben seiner Hollywood-Vorbilder, und an der Filmmusik – oft gefühlvolle spanische Boleros und Schlager.
Selbst sein neuer Film, der von Tod und Abschiednehmen handelt, ist von dieser typisch almodóvaresken Lebhaftigkeit geprägt. „Filme sind zur Unterhaltung gedacht“, sagte er in einem Interview 2009, „ich verkünde keine heilbringende Botschaft, ich biete nur einen Blick auf das Leben“.