KAWAMACHO/YAMAKIYA – „Fukushima“ ist Japanisch; es bedeutet „Insel des Glücks“. Doch viele Bewohner der Präfektur Fukushima in Japans Nordosten haben ihr Glück verloren, damals an jenem 11. März 2011, vor fünf Jahren, als Fukushima traurigen Weltruhm erlangte. Futoshi Hirono sitzt zwischen den Stühlen. Er ist selbst ein Vertriebener der Atomkatastrophe, der Haus und Hof verlassen musste. Aber als „Präsident des Wiederherstellungskomitees von Yamakiya“ und einer von elf Bezirksbürgermeistern der Verbandsgemeinde von Kawamata ist er auch ein Offizieller, ein Behördenvertreter. Er sei auch selbst wütend und traurig, sagt er – „aber ich kann nicht gut darüber sprechen“.
Seine Aufgabe als Fürsprecher der Menschen seiner Region nimmt Hirono sehr ernst. In seinem kleinen Büro in der Behelfsunterkunft hängt ein genauer Plan mit der Altersstruktur und den Familienverhältnissen der etwa 200 Bewohner. Rot steht für alleinstehend und über 70. „Da müssen wir sicherstellen, dass täglich jemand nach dem Rechten sieht.“
„Junge Pflanzen können wieder neu wachsen“
Mit Sorge beobachtet Futoshi Hirono die Altersentwicklung in seinem Ort. Dort bleiben nur die Alten, die keine Kraft mehr haben, sich ein neues eigenes Leben aufzubauen. „Junge Pflanzen können wieder neu wachsen, auch in anderer Erde“, sagt der Bürgermeister bedächtig. „Sie sind stärker als der alte Baum, den man verpflanzt.“
Immerhin: Heute ist Massage-Tag in der Containersiedlung von Kawamacho. AAR, eine Partnerorganisation von Caritas International, bietet in den staatlichen Behelfsquartieren regelmäßig Massagen und Gymnastik an. Die 79-jährige Saku Watanabe ist schon ganz früh gekommen, um als erste dran zu sein. Drei Kinder und neun Enkel hat sie, erzählt sie stolz. Und alle lebten im nahe gelegenen Yamakiya, das immer noch in der Sperrzone liegt. „Inzwischen sind sie fortgezogen, weil die Strahlung für die Kinder zu stark ist.“
Saku Watanabe und ihr 81-jähriger Ehemann Naoitsu blieben im Containerdorf zurück. Sie träumen davon, eines Tages in ihrem alten Haus in Yamakiya zu sterben. Einmal im Monat lassen sie sich rüberfahren, um zu lüften und sauberzumachen. „Wir wollen nicht, dass es so runterkommt.“ Die Fahrt nach Yamakiya freilich ist ernüchternd: Ein einst malerisches Seitental, voll von schwarzen Säcken. Zu Tausenden enthalten sie die verstrahlte Bodenkrume, die seit Jahren in der Region aufgenommen und in Plastik verpackt wird.
Doch ohne Endlager verbleibt die Erde letztlich am Ort. Und: Die Reinigungsfirmen sind angewiesen, den Boden nur bis 20 Meter jenseits der Dorfgrenzen abzutragen. So werden die Bewohner dauerhaft von ihrem Wald getrennt sein, in dem sie zeitlebens Pilze und Kräuter gesammelt haben.