Sie sind ein vertrauter Anblick an der Weihnachtskrippe – ein Ochse und ein Esel, die geduldig und still das Baby in der Futterkrippe betrachten. Bescheiden halten sie sich im Hintergrund und fügen sich ganz natürlich ein in das Szenario von Stall, Heu, Hirten und Schafen, von Ländlichkeit und Armut. Aber: Wie kommen die beiden unauffälligen Tiere eigentlich zur Weihnachtskrippe? Und was hat ihre Anwesenheit zu bedeuten?
Die Evangelien sind weitgehend tierlos
Zunächst die Fakten: Die Geburtsgeschichten der Evangelien sind – entgegen der Bildtradition – weitgehend tierlos. Weder Lukas noch Matthäus wissen etwas von Ochsen und Eseln. Lukas erwähnt immerhin Schafe, die von den Hirten auf dem Felde gehütet werden. Kamele dagegen, die man den Weisen aus dem Morgenland gerne beigefügt hat, kommen in den Evangelien genauso wenig vor wie der Esel, auf dem Maria während der Reise nach Bethlehem gesessen haben soll.
Dass Ochse und Esel trotzdem in der Weihnachtsgeschichte gelandet sind, hängt wohl mit dem Stichwort „Krippe“ zusammen, vermutet Lutz Doering, Professor für Neues Testament und antikes Judentum an der Universität Münster. Es findet sich nämlich auch in einem Vers des Jesaja-Buches (1,3): „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt mich nicht, und mein Volk versteht mich nicht“, heißt es in der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments. Bildlich dargestellt ist das erstmals auf einem Mailänder Sarkophag aus dem 4. Jahrhundert: Ein Relief zeigt die Geburt Jesu mit dem Kind in der Krippe und Ochs und Esel – aber noch ohne Maria und Josef.
Der Jesaja-Vers wird heute gern so gedeutet, dass die Menschen in Gegensatz zu den Tieren gestellt werden: Wenn selbst das Vieh Gott in der Krippe erkennt – warum tun es dann die Menschen nicht?
Es gibt jedoch auch eine andere Lesart, und die ist sehr viel heikler. Sie sieht in der Verbindung der Jesaja-Stelle zur Weihnachtsgeschichte eine deutliche Kritik an den Juden, die das Kind in der Krippe eben nicht als Gott, als Herrn und Heiland der Welt anerkennen. Mit Ochs und Esel solle die Blindheit Israels gegenüber dem Heil in der Krippe demonstriert werden, meinte etwa der deutsch-israelische Religionswissenschaftler Schalom Ben Chorin. „Wer denkt noch daran, wenn er die traulichen Haustiere der weihnachtlichen Dekoration betrachtet? Und doch sind sie so harmlos nicht“, so Ben Chorin in einer Vorlesung von 1979.
Kritik von jüdischer Seite
Tatsächlich legen schon die ersten Zeugnisse, die es über die Verbindung des Jesaja-Verses mit der Weihnachtsgeschichte gibt, eine antijudaistische Lesart nahe. Etwa beim Kirchenvater Origines, der in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts die beiden Tiere an der Krippe unterschiedlich deutet, wie Lutz Doering erklärt: Er sieht den „reinen“ Ochsen als Allegorie auf die Juden und den „unreinen“ Esel als Symbol für die Heiden: Nicht die Juden, sondern die Heiden erkennen ihren Herrn. „Dies ist in der Tat ein antijüdisches Verständnis der Jesaja-Stelle“, so Doering.
Unterschiedliche Deutungen
Die Ausdeutung des Ochsen auf die Juden und des Esels auf die Heiden finde sich in unterschiedlicher Form bei den griechischen und lateinischen Kirchenvätern, erläutert der Wissenschaftler. Manche, wie Ambrosius von Mailand im 4. Jahrhundert, beziehen sie auf die Zeit vor und nach Christus: Vor Christus hatte das jüdische Volk nur eine armselige Nahrung, jetzt aber, da Christus in der Krippe liegt, hat es das Brot vom Himmel erhalten. Wieder andere, wie Gregor von Nyssa (ebenfalls 4. Jahrhundert), deuten den Herrn in der Krippe zwischen Ochs und Esel als den, der die Trennung zwischen Juden und Heiden beseitigt.
Daneben, so Doering, gibt es aber auch eine Deutung, nach der beide Tiere die Erkenntnis Christi als Herrn durch die Heiden symbolisieren: Bei Gaudentius von Brescia (um 400) heißt es, dass „die dummen Tiere der Heidenvölker“ Christus als ihren Herrn erkannt hätten, während das Volk der Juden seinem Befreier die Anerkennung verweigert habe.
Der deutliche Gegensatz, der von den frühen Theologen zwischen Juden und Heiden/Heidenchristen konstruiert wurde, entspricht der Abgrenzung vom Judentum und damit einem Antijudaismus, wie er sich vielfach in Zeugnissen der Alten Kirche findet, meint Lutz Doering. „Auf der anderen Seite wird der Kontrast bei den Autoren durchaus unterschiedlich verstanden“, betont der Neutestamentler: teils als Gegenüberstellung der verständigen Heiden gegenüber den ablehnenden und „ihren Herrn verkennenden“ Juden, teils als Kontrast zwischen vorchristlichem Judentum und der durch Christus eingetretenen Fülle des Heils; teils sogar auch als Überwindung der Trennung von Juden und Heiden.
Was tun mit den Tieren an der Krippe?
So harmlos, wie sie erscheinen, sind Ochse und Esel an der Krippe also nicht. Sollte man sie besser weglassen? Lutz Doering rät zur Gelassenheit im Weihnachtszimmer. „Im Ganzen wäre nichts gewonnen, wenn man aus Weihnachtskrippen einfach Ochs und Esel entfernen würde“, sagt er. „Die Symbolik wird sicher heute nicht mehr allgemein erkannt. Es gibt Menschen, etwa auch Kinder, die sich diesem Inventar der Krippe unbefangen nähern, und dagegen ist meines Erachtens nichts einzuwenden.“
Gelassenheit im Weihnachtszimmer
Wo jedoch über den Glauben und seine Zeugnisse und Äußerungen nachgedacht und diskutiert werde, müsse man sich der Deutungsgeschichte der Krippendarstellung stellen, findet Doering. Dabei sollte allerdings auch die Vielfalt der Deutungen bedacht werden – es handele sich nicht um eine eindeutige Stereotype. „Problematisch ist der Umgang mit der Jesaja-Stelle ja aus heutiger Sicht vor allem deswegen, weil sie von einer prophetischen, gleichsam inner-israelitischen Kritik bei Jesaja zu einem an Juden von Nichtjuden beziehungsweise Christen herangetragenen Vorwurf wurde“, meint er. Angesichts des heutigen jüdisch-christlichen Gesprächs könnten die teils offen antijüdischen, teils substitutionstheologischen Deutungen, die an Ochs und Esel geknüpft wurden, nicht mehr aufrechterhalten werden. Das Nicht-Kennen bei Jesaja beziehe sich ursprünglich selbstverständlich nicht auf die (An-)Erkenntnis Jesu. „Man könnte es vielleicht bei der positiven Hälfte des Satzes belassen und Ochs und Esel als Symbole derer nehmen, die Jesus als ihren Herrn anerkennen“, so Doering.