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Noch vor der Papst-Beerdigung positionieren sich Kardinäle

Papst Franziskus ist noch nicht beigesetzt, doch die Debatte um sein geistiges Erbe und die künftige Linie der Kirche hat schon begonnen. In Interviews und Predigten werden erste Ansagen gemacht.

Noch bevor der verstorbene Papst Franziskus beigesetzt ist, haben in Rom mehrere Kardinäle die Lücke genutzt, um sich vor der Wahl seines Nachfolgers zu positionieren. Die sprunghaft gestiegene Aufmerksamkeit der Medien für die Ereignisse in Rom bietet ihnen die Bühne, um unübersehbar Pflöcke einzuschlagen. Zugleich senden sie Botschaften an die vielen Wähler im Kardinalskollegium, die noch unentschlossen sind, wie und unter wessen Führung es weitergehen soll mit der katholischen Weltkirche.

Als einer der ersten hat der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller die Chance genutzt. Als ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation hat der bekannte Theologe bis heute internationale Prominenz – auch wenn er seit seiner Ausbootung durch Papst Franziskus in den vergangenen sieben Jahren nur noch eine Nebenrolle im Vatikan spielte. Er gilt als Vertreter der “Ratzinger-Linie” im Vatikan und wird auch über das konservative Lager hinaus beachtet.

In einem Interview der italienischen Tageszeitung “Repubblica” stellte er fest: “Es ist ein Kapitel in der Geschichte der Kirche abgeschlossen.” Damit machte er eine klare Ansage an jene, die im nächsten Pontifikat an die Linie von Franziskus anknüpfen und diese vielleicht sogar weiterentwickeln wollen.

Und Müller spart nicht mit Kritik am soeben beendeten Pontifikat: “Es war in einigen Momenten etwas zweideutig.” Müllers Gegen-Ideal ist eindeutig: “Unter Papst Benedikt hatten wir vollkommene theologische Klarheit.” Lobend hebt er indes hervor, dass Papst Franziskus “in der sozialen Dimension besondere Fähigkeiten” gehabt habe.

Zu den Unklarheiten unter Franziskus zählt Müller das Vatikan-Papier vom Dezember 2023, das die Segnung von Menschen erlaubt, die in homosexuellen Beziehungen leben. Auch wichtige Elemente der Vatikan-Reform unter Franziskus hält er für problematisch. Wenn neuerdings Laien, also auch Frauen, ein Vatikan-Dikasterium leiten können, dann stelle das die im Bischofs- und Kardinalskollegium verankerte Grundlage der Kirchenführung in Frage. Und zum Schluss gibt er den übrigen Papstwählern eine klare Empfehlung: “Alle müssen sich daran erinnern, dass wir der mystische Leib Christi sind und nicht eine internationale humanitäre und soziale Organisation.”

Weniger ausführlich als Müller, aber mit ähnlicher Stoßrichtung, äußerte sich der New Yorker Kardinal Timothy Dolan. Dem Sender NBC sagte er, der Nachfolger müsse wie Franziskus ein “warmes Herz” haben, aber “mehr Klarheit in der Lehre” und mehr Vertrautheit mit der Lehre der Kirche und mit den Schätzen der kirchlichen Tradition zeigen.

Ganz anders äußerten sich zwei prominente italienische Kardinäle, die sich beide in der Linie des Franziskus-Denkens positionieren. Kardinal Roberto Repole, sozial engagierter Erzbischof der Industriemetropole Turin, sagte gegenüber Vatican News: “Ich betrachte das Pontifikat von Franziskus als eine Art Wiederbelebung des Erbes des Zweiten Vatikanischen Konzils.” Die große Reformversammlung der katholischen Kirche (1962-1965) habe in der Lehre der Kirche Christus ins Zentrum gestellt und klar gemacht, dass alle Fragen aus dieser Perspektive betrachtet werden müssten. Franziskus habe klargemacht, dass dies nicht bloß eine Idee sei. Vielmehr habe er das konkret mit seiner Existenz und seinem Leben umgesetzt.

Ähnlich äußerte sich der italienische Kardinal Matteo Zuppi, Vorsitzender der größten Bischofskonferenz Europas, und Erzbischof von Bologna. Franziskus habe die Verkündigung Jesu wieder ins Zentrum der Kirche gerückt und sie von manchem kirchlichen Ballast befreit. Ihm sei es um eine Kirche gegangen, die die Menschen “versteht, begleitet und umarmt.” “Die Worte und Gesten des verstorbenen Papstes weisen uns weiterhin den Weg”, so Zuppi, der in Medien oft als ein möglicher Nachfolger von Franziskus genannt wird.

In den Tagen nach der Beisetzung werden die Kardinäle weitere Gelegenheit haben, sich öffentlich zur Frage zu positionieren, wie sie zum Franziskus-Pontifikat stehen. Eine Bühne dafür bieten die acht Trauer-Gottesdienste für Franziskus, die ab Sonntag täglich im Petersdom von je einem anderen hochrangigen Kardinal gefeiert werden. Die Predigten werden von Vatikan-Beobachtern mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.