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… noch viel zu lernen

Wenn Behinderte interviewt werden, steht oft nicht ihre Kompetenz im Fokus, sondern ihr Handicap. Das soll sich ändern, meint Raul Krauthausen

Harald Oppitz/KNA

Gibt es behinderte Moderatoren im Fernsehen? Oder Menschen mit Behinderungen, die als Experten für Nicht-Behinderten-Themen befragt werden? Welches Bild von Menschen mit Handicap vermitteln die Medien? Ein zu einseitiges und mit Klischees beladenes, findet der Aktivist für Behindertenrechte, Raul Krauthausen. Im Gespräch mit Karin Wollschläger in Leipzig erklärt er, wie man mit einfachen Mitteln gegensteuern kann.

Herr Krauthausen, was regt Sie in Sachen Medien und behinderte Menschen am meisten auf?
Mich ärgert, wenn in Filmen Menschen mit Behinderungen auftauchen, aber gespielt von nichtbehinderten Schauspielern oder Schauspielerinnen. Das ist wie früher, als Weiße schwarz angemalt wurden, um Schwarze zu spielen.

Und in der Berichterstattung?
Da stört mich oft, dass die Behinderung grundsätzlich thematisiert wird, auch wenn die Person beispielsweise Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin ist und es eigentlich um ein ganz anderes Thema geht. Dabei wird auch häufig die Diagnose sehr detailliert dargestellt, was ich mitunter übergriffig finde. Außerdem finde ich ärgerlich, dass behinderte Menschen in der Berichterstattung vor allem dann auftauchen, wenn es sich um Skandale handelt: Wenn Behörden oder Firmen sie benachteiligen oder es eine medizinische Sensation gibt. Menschen mit Behinderungen werden sehr häufig als Opfer oder als medizinische Objekte dargestellt und selten als Menschen, die einfach einer Tätigkeit nachgehen und wo die Behinderung völlig beiläufig miterzählt wird.

Wie sehen Sie Sendungen, die ganz ausdrücklich den Schwerpunkt Behinderung haben?
Das sehe ich als eine Art Service-Sendung. Etwa dieselbe Kategorie wie eine Auto-Sendung. Das sieht sich halt an, wer sich dafür besonders interessiert.

Wie entwickelt sich denn inzwischen die Barrierefreiheit in den Medien in Deutschland?
Es gibt mit Audiodeskription, Untertiteln, Gebärdensprache und Leichter Sprache schon einige Angebote für die verschiedenen Zielgruppen. Öffentlich-rechtliche Sender tun da mehr als etwa die Privaten, nicht zuletzt, weil sie dazu verpflichtet sind – aber trotzdem: Es könnte deutlich mehr sein in Deutschland. Die englische BBC etwa hat ihre Sendungen inzwischen komplett untertitelt.

Was sind die Voraussetzungen für eine vorurteilsfreie Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen?
Ich gebe Journalisten und Journalistinnen immer den Tipp: Wenn Sie jemanden mit Behinderung sehen und als Protagonisten interessant finden, versuchen Sie, die Behinderung wie eine Haarfarbe zu betrachten. Und wenn man die Behinderung erwähnen will, macht man quasi den Gegencheck. Würde man einen Satz formulieren wie: „Trotz der blonden Haare meistert er/sie tapfer das eigene Schicksal.“ Das Entscheidende ist immer: Ist die Behinderung für das Berichtsthema überhaupt relevant?

Sie haben vor einigen Jahren die Plattform Leidmedien.de gegründet, um Journalisten Hilfen für vorurteilsfreie Berichterstattung zu geben. Funktioniert's?
Anfänglich haben wir nur Formulierungshilfen gegeben und aufgezeigt, dass eine neutrale Sprache schon einiges bewirkt. Statt „ist an den Rollstuhl gefesselt“ zu schreiben, einfach: „ist auf einen Rollstuhl angewiesen“. Wir bekamen dann immer mehr Anfragen von Journalisten und Journalistinnen, die mehr wollten zur sprachlichen Reflexion. So haben wir recherchiert und unser Serviceangebot ausgebaut. Jetzt gibt es Workshops, Themendienste, Interview-Tipps und Handreichungen, um Fettnäpfchen zu vermeiden…