Von Dorian Raßloff und Uwe-Karsten PlischGeboren 1908 in Pappenheim als Sohn eines nationalkonservativen Predigers, politisch und theologisch geprägt durch seinen Lehrer Karl Barth, gehörte Gollwitzer in der NS-Zeit zur Bekennenden Kirche. In der sowjetischen Kriegsgefangenschaft studierte er die Werke von Marx, Engels und Lenin. 1951 erschien sein Buch „Und führen, wohin du nicht willst“. Darin arbeitete er sich am real existierenden Sozialismus sowjetischer Prägung ab. Auf Grund seiner Eindrücke in der Sowjetunion plädierte Gollwitzer, als junger Mann Sozialist, zunächst für eine Demokratisierung des Kapitalismus. Sein intensiver Dialog mit den rebellierenden Studierenden der 1960er Jahre in Berlin (West), wo er ab 1957 an der Freien Universität als Theologie-Professor lehrte, ließ ihn erneut umdenken.1968 hielt Gollwitzer einen Vortrag auf der Weltkirchenkonferenz in Uppsala, der als Buch unter dem Titel „Die reichen Christen und der arme Lazarus“ erschien. Dieses widmete er „den Berliner Studenten, dankbar für ihr Aufbegehren und Vorwärtsdrängen“. Darin ging er mit Jesus und Marx’scher Gesellschaftsanalyse argumentierend hart mit dem reichen Teil der Welt und seiner Schuld am Hunger von zwei Dritteln der Weltbevölkerung ins Gericht.Durch die Gespräche mit seinem engen Freund Rudi Dutschke konnte sich Gollwitzer wieder als Marxist bezeichnen. Dutschke, der die DDR und Sowjetunion als „Staatssklaverei“ bezeichnete, sah wie Gollwitzer den Marxismus nicht als dogmatisches System, sondern als Werkzeug kritischer Analyse. Der entscheidende Kompass blieb für Gollwitzer aber „das Reich Gottes für die Welt“.Dutschkes Frau Gretchen, die bei Gollwitzer Theologie studierte, faszinierte, „dass Gollwitzer ein Christentum wichtig war, das nicht in den Himmel guckt, sondern etwas hier auf der Erde bewirken will“. Die Dutschkes erhielten auch Schutz in seinem Haus und er hielt die Trauerrede für den Wortführer der Studentenbewegung. Gollwitzer war als einer der wenigen Professoren damals für viele in der Außerparlamentarischen Opposition Wegweiser. (…)
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