Artikel teilen

Neuer Asterix-Band “Die weiße Iris” ist auf der Höhe der Zeit

Ein Achtsamkeits-Guru soll im gallischen Dorf Frieden stiften. Doch der Gesandte Caesars verfolgt mit seiner Ideologie eigene Interessen. Die gefährliche Botschaft des 40. Asterix-Albums: Letztlich ist Gewalt unvermeidbar.

Die Abenteuer von Asterix und Obelix sind millionenfach verkaufte Comic-Geschichte; bereits seit 64 Jahren. Auch der neue Band “Die weiße Iris” nutzt das bewährte Erfolgsrezept geschickt. Diskussionen, Themen und Debatten der Gegenwart werden – ins Absurde überzeichnet – in die Zeit um 50 vor Christus versetzt. “Wegen dieser vermeintlich großen Distanz kann jeder Leser laut über die Anspielungen und Witze lachen, obwohl vielleicht auch eigene Marotten karikiert werden”, sagt der Asterix-Fan und Theologe Manfred Becker-Huberti.

Asterix hält dem Zeitgeist den Spiegel vor: Fischhändler Verleihnix bietet eine meditative Dufttherapie an, und beim Schmied gibt es positive Schwingungen. Da rast ein von Pferden gezogener TGV-Schnellzug aus der gallischen Provinz nach Lutetia (Paris) – mit von der Deutschen Bahn leidvoll bekannten Verspätungsdurchsagen. Da stehen die Gallier wegen Klimaklebern im Stau. Und Großstädter wollen vor Hektik und Lärm in eine idealisierte Land-Idylle ziehen – auch wenn sie sich zuerst noch auf der hippen Ausstellungsvernissage sehen lassen müssen.

Das Kernthema des inzwischen 40. Asterix-Bandes ist allerdings die Frage, wie die immerwährenden Konflikte zwischen römischen Angreifern und gallischen Belagerten gelöst werden können. Caesar will sich nicht mit dem eingespielten und selbst von den römischen Legionären in der Provinz liebgewonnen faktischen Waffenstillstand begnügen.

Also entsendet er den selbst ernannten Achtsamkeitspropheten Visusversus, der einfache Lösungen verspricht. Seine Denkschule “Die weiße Iris” soll die Gallier zu friedfertigen Unterlegenen machen; mit Blüten im Haar und duftenden Blumen. So sollen sie sich selbst einreden, dass ein Leben in Harmonie und Frieden für alle von Vorteil ist. Umgekehrt können dann die von zahlreichen Prügeln weichgeklopften Römer neues Selbstvertrauen gewinnen, um ihre militärische Überlegenheit durchzusetzen.

“Allerdings ist schon der Begriff ‘weiße Iris’ ein Hinweis auf die Doppelbödigkeit des römischen Plans”, sagt Becker-Huberti. Weiß als Farbe der Unschuld passt schlecht zusammen mit dem Namen Iris – der zwar einerseits die unschuldig-jungfräuliche Götterbotin, andererseits aber auch die Göttin der Zwietracht bezeichnet.

Doch zunächst geht Caesars Kalkül auf: Die gallische Dorfgemeinschaft überschlägt sich mit Höflichkeit und Achtsamkeit. Statt Wildschwein werden Sushi und Veganes serviert. Statt Kampf mit dem Römern geht es um körperliche und geistige Fitness. Selbst Troubadix darf singen. “Auch Minderheiten dürfen sich äußern”, jubiliert das Publikum.

Letztlich bleiben nur Asterix, Obelix, der Druide Miraculix und Häuptling Majestix immun gegen die Verzauberung des falschen Propheten. Und nur sie können nun das Dorf vor der einlullenden Besänftigungstaktik retten – fast ohne Zaubertrank. Dabei muss Majestix sogar um seine Frau Gutemine kämpfen, die das Provinzleben satt hat und sich ins mondäne Lutetia absetzt – natürlich verführt von Caesars Intrigenschmied Visusversus. Das ist charmant erzählt und gezeichnet, mit vielen kleinen Gags und Seitenhieben.

Und doch wird die Moral der Geschichte, wonach letztlich nur Gewalt und handgreiflicher Kampf Probleme wirklich lösen kann, fragwürdig. Nicht nur wegen des Leids und der Kriege in Nahost und der Ukraine. “Die Bergpredigt mit dem Appell zur Feindesliebe feiert hier jedenfalls keinen Sieg”, so der Theologe Becker-Huberti.

Verdienst des erstmals für die Asterix-Reihe verpflichteten Texters Fabcaro ist es, dass sich die Frauen im gallischen Dorf emanzipieren dürfen – zumindest ein Stück weit. Gutemine hat zwar schon immer ihren eigenen Kopf, durfte ihn aber bislang selten so konsequent durchsetzen. Und Häuptling Majestix muss vom hohen Schild herabsteigen, bevor alle Dorfbewohner, und – das ist in der 64-jährigen Asterix-Geschichte keineswegs selbstverständlich – auch alle Dorfbewohnerinnen am Tisch des Abschlussmahls mitfeiern dürfen.