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Nah ran an Luther

Matthias Nagel, Pop-Kantor der westfälischen Landeskirche, hat ein Luther-Oratorium geschrieben. Der Text von Dieter Stork zeigt einen politischen und kantigen Reformator

Wenn es um sein Luther-Oratorium geht, kommt Matthias Nagel schnell ins Singen. „Hier, wo es um Luthers Liebe zu seiner Frau Käthe geht“, sagt er und blättert schnell durch die Partitur, „hier kommt dann das Lied ,Vom Himmel hoch, da komm ich her‘“, und er summt die bekannte Weihnachts-Melodie, die er für das Oratorium dem Swing einer Liebes-Ballade angepasst hat. „Es heißt, dass Luther dieses Lied in der guten Stube der Familie geschrieben hat“, erzählt Nagel. „Darum habe ich es in das Lob der Frau Käthe eingefügt.“
In dem Oratorium „Gaff nicht in den Himmel“ nach einem Text des westfälischen Pfarrers und Autors Dieter Stork mit Musik vom landeskirchlichen Pop-Kantor Matthias Nagel wird das Leben des Reformators erzählt und zugleich kommentiert und zur Gegenwart in Bezug gesetzt. In vielen Original-Zitaten kommt Luther auch selbst zu Wort. Ganz zentral dabei: „Nicht eine Theologie von Glanz, Macht und Ehre ist der Weg des Christen, sondern die Anschauung des Kreuzes Christi“.

Der kritische Luther: kein einfacher Mann

Von Heldenverehrung ist das Werk jedoch weit entfernt: Kritisch wird mit Luthers Sturheit und drastischen Äußerungen etwa zur Judenmission umgegangen. Andererseits wird auch das kritische Potenzial der lutherischen Theologie aufgenommen und die Gegenwart unter dem Blickwinkel seiner freiheitlichen Erkenntnisse beleuchtet: Luthers Anfragen an Kirche und Demokratie, das Bildungssystem und die Macht des Geldes sind auch heute noch aktuell.
Ursprünglich war der Text des Oratoriums doppelt so lang, erzählt Nagel. Auf zweimal 90 Minuten hatte Dieter Stork es angelegt. Auch in zähen Diskussionen ließ er sich nicht von dieser Vorstellung abbringen – bis Matthias Nagel alle Seiten des Librettos auf dem Fußboden auslegte. „Sieh dir das an, Dieter“, hielt er dem Dichter vor. „Das kann kein Mensch in einem Konzert aufnehmen.“
Das wirkte. Blatt für Blatt wurde geprüft und ausgewählt oder verworfen. „Die Diskussion darüber war hoch spannend“, erzählt Nagel. Im November 2015 lag dann die aktuelle Textfassung vor.
Rund vier Monate hat Nagel danach gebraucht, um den Text in Musik umzusetzen. „Im Alltag kamen mir erste kurze Motiv-Einfälle“, erzählt der Musiker. Aber ihm fehlte noch die zündende Idee – bis ihm ein Zitat von Luther ins Auge fiel: „Gaff nicht in den Himmel“, heißt es da. „Da steckt alles drin“, findet Nagel. Gott begegnet dem Menschen eben nicht im Himmel – aber wo dann? „Das ist das Thema. So wurde es rund.“

Gott suchen – hier auf der Erde

Es folgte eine intensive Phase des Komponierens nach Weihnachten bis hin zum fertigen Entwurf im Januar dieses Jahres. Die Musiksprache, sagt Nagel, ist bunt gemischt. Sie reicht von den Melodien gregorianischer Choräle bis hin zu Pop-Balladen. „Poplastig“ sei sie aber nicht, betont der Komponist. „Vieles klingt bewusst mittelalterlich. Ich wollte auch musikalisch nah ran an Luther.“
Mehrere traditionelle Luther-Choräle hat Nagel verwendet, von deren Aktualität er schwärmt. Auch weitere Gesangbuchlieder flicht er in das Oratorium ein. Dabei hat er keine Scheu, die bekannten Melodien für seine Zwecke anzupassen. „Es darf nur nicht beiläufige Unterhaltungsmusik werden“, findet er. Auf eine Erfindung ist Nagel besonders stolz: das sogenannte „Freeze“, also das Einfrieren einer Szene. Die Bewegung in der Musik kommt dann zum Erliegen, und der Text der Sprecher steht im Vordergrund. „Das habe ich zum Beispiel bei Luthers Kritik am Bankenwesen eingesetzt, die ja unheimlich aktuell ist“, erklärt er.
Bei dem Werk handelt es sich um ein Oratorium – es wird also nicht Theater gespielt, wie bei einem Musical, sondern ausschließlich musikalisch inszeniert. Neben zwei Solistenrollen gibt es noch zwei Sprecher, die die Rolle von Erzählern und Kommentatoren übernehmen. Wichtig ist dem Komponisten, dass das Werk von Kirchen- oder Jugendchören aufgeführt werden kann. Es braucht keine Auswahl-Sänger; nur für die Solisten sind Profis vorgesehen. Dazu kommen zwei Sprecher sowie eine Band.
Bereits jetzt proben Sängerinnen und Sänger aus Iserlohn mit der Kirchenmusikerin Ute Springer für die Uraufführung in Hagen-Haspe am 10. November, Luthers Geburtstag. Matthias Nagel hofft auf weitere Aufführungen im Laufe des Jubiläumsjahres 2017. Und vielleicht, so seine stille Hoffnung, ist sogar eine professionelle Einspielung auf CD möglich – dafür wäre allerdings noch ein finanzkräftiger Sponsor nötig.